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Bergbau in Lateinamerika: „Die Konzerne lernen aus dem Widerstand, nicht aus den Unglücken“

Zwei Jahre nach Brasiliens schlimmster Umweltkatastrophe zieht Susanne Friess, MISEREOR-Beraterin für Bergbau und Entwicklung in Lateinamerika, Parallelen zur allgemeinen Situation in Lateinamerika.

Susanne Friess, MISEREOR-Beraterin für Bergbau und Entwicklung in Lateinamerika, Foto: MISEREOR.

Susanne Friess, MISEREOR-Beraterin für Bergbau und Entwicklung in Lateinamerika, Foto: MISEREOR.

Vor zwei Jahren, am 05. November 2015, brach nahe der Stadt Mariana im Osten Zentral-Brasiliens der Damm des Rückhaltebeckens Fundão, Teil des Samarco-Bergwerks: Eine giftige Lawine von über 30 Millionen Kubikmetern Schlamm aus der Eisenerzmine bahnte sich daraufhin ihren 680 Kilometer langen Weg bis in den Atlantik: Dabei starben 19 Menschen, ganze Dörfer wurden zerstört, 349 Familien obdachlos. Drei Flüsse und fruchtbarer Boden von zahllosen Gemeinden wurden auf nicht absehbare Zeit vergiftet. Immer noch warten die betroffenen Menschen auf den Wiederaufbau ihrer Häuser und Dörfer und auf eine Entschädigung.

Und wie sieht die Situation insgesamt in Lateinamerika im Bergbau aus? Wurden Konsequenzen aus dem Fall Mariana gezogen? Susanne Friess, MISEREOR-Beraterin für Bergbau und Entwicklung in Lateinamerika gibt in einem Kurzinterview eine Einschätzung der Situation.

Gibt es Herausforderungen im Bereich Bergbau, die sich über die Landesgrenzen hinweg in Lateinamerika finden lassen?

Susanne Friess: Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten und leider sehr viele Herausforderungen. Das fängt an beim Thema Umweltgesetzgebung: Die Gesetzgebung ist in Lateinamerika im Vergleich zu uns grundsätzlich deutlich schwächer. Und wenn die Gesetzgebung gut ist, heißt es immer noch nicht, dass die Umsetzung gut ist. Denn die Kontrollen sind noch schwächer. Deshalb kann solch eine Umweltkatastrophe wie bei Mariana in Brasilien genauso in Peru, Chile, Argentinien oder in Kolumbien passieren. Als die Rohstoffpreise 2011/2012 gefallen sind, haben viele Länder ihre Gesetzgebung noch einmal flexibilisiert und die Umweltstandards gesenkt, um Anreize für Konzerne zu schaffen, weiter in diese Länder zu investieren.

Außerdem gibt es in fast keinem Land eine vernünftige Raumordnungsplanung, in der festgelegt wird, wo welche Art von Aktivität am meisten Sinn ergibt. In allen Ländern findet Bergbau in den Bergen und auf dem Land statt. Das heißt, immer sind bäuerliche Gemeinden oder indigene Völker betroffen, die in ihren Ländern meistens diskriminiert werden oder weniger privilegiert als Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt sind. Hier geht es um Fragen, wie wir diese schützen und den Verbleib auf ihrem Land sichern können.

Lateinamerika ist der Kontinent, in dem die meisten Menschenrechtsverteidiger und Umweltaktivisten ermordet und bedroht werden. Und die Zahlen steigen. Je größer der Druck auf das Land wird, je mehr Investoren auf das Land zugreifen wollen, je mehr die Bäuerinnen und Bauern an den Rand gedrängt werden, desto mehr reagieren die Menschen mit Widerstand. Und je mehr Widerstand, desto mehr Repression und Bedrohung. Es gibt keine institutionellen Wege, diese Konflikte beizulegen.

In vielen lateinamerikanischen Ländern ist die Bergbaulobby sehr stark und nimmt Einfluss auf Gesetze. Auch die internationale Rechtstruktur bietet viele Schlupflöcher für große Konzerne, so dass sie sich nicht der Verantwortung stellen müssen, wenn sie Menschenrechtsverstöße begehen. Hier ist der Fall Mariana ein gutes Beispiel: Das brasilianische Unternehmen Vale und der australisch-britische Konzern BHP weisen die Verantwortung von sich. Die gemeinsame Tochterfirma Samarco soll die Suppe auslöffeln. Aber die Gewinne wurden immer schön an Vale und BHP transferiert.

Profitiert die Bevölkerung wenigstens von den Einnahmen durch den Bergbau?

Überwiegend leider nicht. Generell bleiben die Profite aus dem Bergbau nicht im Land. In vielen Ländern, gerade in Zentralamerika, sind die Abgaben, die Bergbaukonzerne leisten müssen, lächerlich. Die Unternehmen zahlen einen Prozent Gewinnsteuer und alle weiteren Gewinne nehmen sie umsonst mit. Dieses eine Prozent reicht niemals aus, die Folgekosten des Bergbaus auszugleichen. Das heißt, hier wird der Rohstoffabbau auf Kosten der Landbevölkerung subventioniert: Deren Wasser und Boden ist verschmutzt. Krankheiten, Wassermangel und Einkommensausfälle sind die Folge. In Peru beispielsweise gibt es über 5.000 Altlasten aus dem Bergbau, die einfach so in der Natur herum liegen. Aber niemand geht es an und gibt das Geld aus, um sie zu bereinigen.

Die Folgen des Bergbaus und der Rohstoffausbeutung werden immer sichtbarer. Diese Probleme sind mittlerweile nicht mehr nur auf dem Land zu spüren, sondern gelangen über die Lieferketten und durch mit Schwermetallen verseuchte Lebensmittel mittlerweile auch in die Städte. Damit wird es sicherlich zu einer neuen Dynamik im Widerstand gegen den Bergbau kommen.

Lernt man denn nicht aus Katastrophen wie Mariana?

S.F.: Insgesamt denke ich, dass die Bergbaukonzerne eher aus dem Widerstand lernen, als aus den Unfällen selbst. Sie merken, dass es für sie aufgrund des Widerstandes schwieriger wird zu arbeiten und haben erst einmal ein Interesse daran, mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Allerdings finde ich hier die gewählten Methoden oft nicht gut, da es meistens um Bestechung und Schmiergelder geht, wie auch der Fall Mariana zeigt. Aber es findet in gewissen Maßen ein Umdenken statt, auch wenn das Ausmaß noch nicht genug ist.

Nach Mariana hat es in meiner Wahrnehmung in Brasilien und Lateinamerika kein Umdenken gegeben. Gesetze werden sogar eher aufgeweicht. Trotzdem bewegt sich in der Langzeitperspektive durchaus etwas. Auf internationaler Ebene gibt es ein großes Bewusstsein dafür, dass Unternehmen stärker zur Verantwortung gezogen werden müssen. Außerdem wurde beispielsweise in El Salvador der Bergbau komplett verboten. In Kolumbien wurde die Beteiligung der Bevölkerung vor Ort gestärkt. Dort gab es viele Referenden in Bergbauregionen, wo die Menschen ganz klar gegen den Bergbau gestimmt haben. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass diese Beteiligung wieder gekippt wird.

Ist es das Ziel MISEREORs überall den Bergbau abzuschaffen?

S.F.: Nein, das geht an der Lebensrealität vorbei. Wir brauchen realistische Ziele. Auch wenn es für jeden Einzelfall wünschenswert wäre. Es ist strategisch klüger, zu überlegen wie der Bergbau verändert werden kann und wie No-Go-Zones definiert werden. Ich glaube, dass es No-Go-Zones braucht. Aber nicht ganz Lateinamerika oder ganz Europa kann solch eine Zone sein. Es braucht den Bergbau und deshalb müssen wir über die Standards, die Umsetzung und über Haftbarmachung von Unternehmen sprechen, wenn einmal etwas nicht klappt.

Und natürlich müssen wir über Konsummuster hier in Deutschland und in Europa sprechen. So lang der Konsum so weiter läuft wie bisher, wird der Bergbau weiterhin dramatisch boomen. Es sollte darüber nachgedacht werden, wie die Rohstoffe, die schon einmal abgebaut wurden, wieder in die Kreislaufe zurückgeführt und recycelt werden können, um die Neuerschließung von Bergwerken auf ein Minimum zu bringen. Realistische Ziele zur Veränderung des Bergbaus sind, dass die Länder einen Raumordnungsplan und eine vernünftige Umweltgesetzgebung brauchen. Sie brauchen Kontrollmechanismen und Umweltaufsicht, um die Pläne und Gesetze umzusetzen. Konzerne müssen haftbar gemacht werden. Da gibt es viele Punkte, wo wir in Allianz mit anderen Akteuren zusammenarbeiten.


Zwei Jahre nach der Katastrophe von Mariana: Der Kampf geht weiter

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Corinna Würzberger ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei MISEREOR.

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