Im September 2017 erschütterten zwei schwere Erdbeben die beiden südlichen Staaten Mexikos, Oaxaca und Chiapas. Das erste war mit einer Stärke von 8,2 das stärkste Beben der letzten 85 Jahre. Mit dramatischen Folgen: 100 Tote, unzählige Verletzte und 57.000 zerstörte Häuser. Die MISEREOR-Mitarbeiter Marcelo Waschl und Matthias Lanzendörfer haben gemeinsam mit dort engagierten Partnerorganisationen die betroffenen Regionen besucht. Ein Bericht über die Katastrophe nach den Erdbeben.
Zwischen den beiden Beben im Süden war auch Mexico City von einem schweren Erdbeben betroffen. Das schwenkte die anfängliche Aufmerksamkeit in Mexiko schnell vom Süden zur Hauptstadt, in der es ebenfalls starke Schäden gab.
Schneller Beschluss von Wiederaufbaumaßnahmen
Nur kurze Zeit nach dem Beben beschloss die Zentralregierung einen Wiederaufbauplan für die beiden betroffenen Staaten. Demzufolge sollten Reparatur und Neubau aller zerstörten Gebäude bis Dezember 2017 abgeschlossen sein. Für die Betroffenen im Krisengebiet ist die schnelle Planung und Umsetzung von Wiederaufbaumaßnahmen enorm wichtig: Viele Menschen haben ihre Häuser verloren und müssen in Notunterkünften oder bei Verwandten ausharren. Die heftige Regenzeit in Mexiko verschlimmerte die Situation zusätzlich. Hier sei an das entgegengesetzte Beispiel in Nepal nach dem Erdbeben 2015 erinnert, nach dem die Regierung über ein Jahr lang ganz bürokratisch jegliche Bautätigkeit unterband.
Die Schnelligkeit, mit der die Maßnahmen umgesetzt wurden, hatte für viele Betroffene schlimme Folgen:
Schäden durch Laien bewertet
Die Bewertung der Schäden erfolgte überwiegend durch Nicht-Fachleute (z.B. Studenten oder Forstangestellte), wodurch vielfach falsche Einschätzungen getroffen wurden. Abgelegene Gebiete, die vor allem von der ärmeren indigenen Bevölkerung bewohnt wird, wurden bei der Bewertung oft überhaupt nicht berücksichtigt. Die Kriterien, anhand derer die Schäden bewertet wurden, benachteiligten die Bewohner einfacher Bauweisen: Gebäude aus Bambus, Palmen, etc. wurden häufig entweder nicht als „Häuser“ akzeptiert, oder nicht als beschädigt bezeichnet (frei nach dem Motto „Die hatten doch sowieso schon eine Schieflage“). Eine einmal getroffene Bewertung wurde fast nie revidiert, trotz aller offensichtlichen Evidenz.
Etliche Betroffene alleine gelassen
Die Unterstützung der Zentralregierung erfolgte über eine aufgeladene Kreditkarte mit 30.000 mexikanischen Pesos (ca. 1.300 Euro) für Reparaturen oder über zwei Karten mit zusammen 120.000 mexikanischen Pesos (ca. 5.200 Euro) für einen Neubau. Etliche Betroffene erhielten allerdings lediglich einen Umschlag, in der nur eine einzige Karte war, obwohl ihnen zwei zugestanden hätten. In der Erdbebenregion gibt es nur wenige Bankfilialen, sodass Rückfragen oder Beschwerden fast nicht möglich waren.
Die Abrisskolonnen wurden von der Regierung vorgeschickt und die Bevölkerung mit zweifelhaften Drohungen eingeschüchtert: „Jetzt oder nie“, das Kartenguthaben sollte angeblich verfallen, so dass viele sich dem Abriss beugten. Drei Wochen nach dem ersten Erdbeben waren schon 1.100 Gebäude demoliert und der Schutt auf Halden am Ortsrand transportiert. Die Kolonnen ließen den Bewohnern keine Zeit wertvolle Bauteile, die hätten wiederverwendet werden könnten (z.B. Türen, Fenster oder Ziegel) zu retten.
Die Karten konnten in Bezug auf Baumaterialien nur in konzessionierten Verkaufsläden eingelöst werden. Diese führten nur industrielle Produkte, was eine traditionelle und ans Klima angepasste Bauweise praktisch unmöglich machte. Vier große Bauunternehmen überfluteten die Region und boten für die beiden Kreditkarten einen schlüsselfertigen Bau an. Sie machten erheblichen Druck, den angeblich besonders günstigen Vertrag schnell abzuschließen.
Geringe Qualität der wiederaufgebauten Häuser
Die Bauunternehmen erstellten Einheitsblockhäuser, so wie sie in ganz Mexiko gebaut werden. Eine Anpassung an das heiße Klima in der Region und die Lebensweise mit einem offenen Innenhof wurde dabei nicht berücksichtigt. Zudem ist die gebotene Bauqualität gering. Die Bauunternehmen bauten auf den Boden des alten Erdgeschosses auf, ohne zu prüfen, ob das Fundament für die eingetretenen Schäden verantwortlich war. Dadurch bleibt es unklar wie lange die Häuser und insbesondere die Flachdächer halten werden.
So entpuppte sich die zunächst vorteilhaft aussehende Wiederaufbauhilfe als ein Misserfolg: Ein riesiges Programm, das Geld der Nation den mächtigen Inhabern der Bauindustrie zuschob und die Bedürfnisse der Erdbebenopfer unberücksichtigt ließ.
Die Partnerorganisationen von MISEREOR stehen in dieser schwierigen Situation an der Seite der Betroffenen. So helfen sie:
- Sie schaffen Wege zur Wohnraumverbesserung für die vom staatlichen Programm Ausgeschlossenen.
- Über technische Beratung werden Bauten gefördert, die an Kultur und Klima angepasst sind. Das bedeutet möglichst lokale Materialien zu verwenden und den Eigenbau durch Selbsthilfe zu stärken.
- Die Ökonomie der betroffenen Frauen wird über die Schaffung von Öfen in Erdbauweise gestärkt.
Über die Autoren: Es berichten Matthias Lanzendörfer, Nothilfekoordinator und Marcelo Waschl, Fachreferent für städtische Entwicklung/Habitat in der Lateinamerika- Abteilung bei MISEREOR
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