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Brasilien: Rückschritt zur Diktatur?

Dreißig Jahre nach Beendigung der Militärdiktatur droht Brasilien ein Rückschlag in diktatorische Strukturen.

Demonstrantin in Porto Alegre mit dem Hashtag der Mobilisierung #EleNao. © Caco Argemi CPERS / Sindicato

Demonstrantin in Porto Alegre mit dem Hashtag der Mobilisierung #EleNao. © Caco Argemi CPERS / Sindicato

Noch vor wenigen Monaten hatte es kaum jemand in Brasilien für möglich gehalten, dass ein rechtsradikaler Politiker mit dem Namen Jair Bolsonaro neuer Staatspräsident des Landes werden könnte. Doch dies scheint jetzt Wirklichkeit zu werden. Wenige Tage vor den Stichwahlen liegt der ultrakonservative Politiker in den Umfragen mit 59 zu 41 Prozent vor seinem Widersacher, dem Linkspolitiker Fernando Haddad. Seit der Anfang September an Bolsonaro verübten Messerattacke reitet der Diktaturverherrlicher auf einer Welle der Sympathie, die inzwischen von einer noch größeren Welle der Verachtung und des Hasses angeschoben wird. Seinen Wählern verspricht Bolsonaro hart durchzugreifen, um die Kriminalität im Lande zu bekämpfen. So verkündete er erst vor kurzem „alle Verbrecher umbringen lassen zu wollen“. Für viele seiner vorwiegend aus der weißen Mittelschicht und den Pfingstkirchen stammenden Anhängern repräsentiert der Ex-Militär Bolsonaro einen Neuanfang. Er sieht sich als eine Art Befreier, der durch militärische Disziplin und Härte den tief verwurzelten Korruptionsapparat im Lande ausmisten wird. Das der seit den neunziger Jahren im brasilianischen Unterhaus sitzende Abgeordnete für den Korruptionsapparat mitverantwortlich ist, scheint noch niemandem seiner Befürworter aufgefallen zu sein.

Wahlmanipulation durch Fake News

Demonstrationen in Porto Alegre © Caco Argemi CPERS / Sindicato

Demonstrationen in Porto Alegre © Caco Argemi CPERS / Sindicato

Seit Wochen manipulieren Bolsonaro-Getreue und alliierte Unternehmer die sozialen Netzwerke, indem sie über Whatsapp-Gruppen und Facebook-Kanäle täglich tausende „Fake News“ an deren Leser ausspielen. Und das mit Erfolg. Längst hat sich die Bolsonaro-Welle verselbständigt und sich in eine Anti-Welle gegen die brasilianische Linke verwandelt. Das Land Brasilien ist gespaltener als nie zuvor. Bolsonaros menschenverachtende, rassistische Wahlpropaganda beschränkt sich nicht nur auf linke Parteien. Seine mit Animositäten vergifteten Pfeile schießen gegen Frauen, Farbige, Menschenrechtler und Minderheiten wie Homosexuelle und Indigene. Der Rechtsextremist macht keinen Hehl daraus, dass er Indigenen und anderen traditionellen Völkern ihr Land entreißen will, um es seinen Verbündeten aus der Agrolobby unterjubeln zu können. Selbst die brasilianischen Schutzgebiete laufen unter seinem Regime Gefahr von Motorsägen zerlegt und an Großgrundbesitzer verscherbelt zu werden. Wiederholt kündigte der ultrarechte Politiker an, die Behörden für Umwelt und Naturschutzgebiete aufzulösen. Geldbußen für Umweltdelikte sollen zukünftig vom Landwirtschaftsministerium verhängt werden. Und auch die Kontrolle über die Freigabe und Anwendung von Pestiziden will er der dafür zuständigen Behörde im Gesundheitsministerium entreißen, um sie ans Agrarministerium zu übergeben. Sollte er wie Temer einen Agrolobbyisten als neuen Landwirtschaftsminister benennen – wovon auszugehen ist – steht Brasilien und seinen natürlichen Ressourcen ein beängstigendes Szenario bevor.

Aggressiver Wahlkampf hinterlässt Spuren

Bei Kleinbauern und Indigenen im Norden von Brasilien hinterlässt der von Bolsonaro geführte Wahlkampf bereits jetzt seine Spuren. „Früher war die Region hier während des Wahlkampfes ein Meer an roten Farben“, berichtet uns Felipe Oliveira von der MISEREOR-Partnerorganisation der kirchlichen Fachstelle für Landfragen (CPT) von seiner Dienstreise in den Norden von Tocantins, und ergänzt, dass aus Angst vor radikalen Bolsonaro-Getreuen sich heute kaum noch jemand traue, seine Sympathie für die Partei PT öffentlich zu zeigen. Als wir zwei Tage später im Bundesstaat Maranhão das indigene Volk der Gaviao besuchen, erfahren wir, dass nur wenige Tage zuvor der Indigene David Mulato auf offener Straße von einem Auftragskiller erschossen wurde. Im Dorf kennt bereits jeder den Namen des Auftraggebers des Mordes: es ist ein Großgrundbesitzer und Bolsonaro-Anhänger aus der Region. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass die örtliche Justiz die Täter zur Rechenschaft ziehen wird. Dafür ist die Macht der Großgrundbesitzer in der Region zu groß. „Kommt Bolsonaro an die Regierung, so wird dieses verheerende Folgen für die indigenen Völker in Maranhão haben. Die Morddrohungen gegen Aktivisten und Indigene haben während des Wahlkampfes drastisch zugenommen“, berichtet Gilderlan da Silva, Koordinator der kirchlichen Fachstelle für Indigene (CIMI) und fügt hinzu: „Bolsonaro-Fans haben keine Angst mehr, ihr wahres Gesicht zu zeigen“.

MISEREOR-Partner befürchten Schlimmstes

Caritasleiterin Lucineth C. Machado und Walter dos Santos (Fotomitte) ©Anna Moser I MISEREOR

Caritasleiterin Lucineth C. Machado und Walter dos Santos (Fotomitte)
© Anna Moser I MISEREOR

Auf die Frage, was unsere Partner für die Zukunft befürchten, falls Bolsonaro zum neuen Präsident gewählt wird, erwidert Lucineth C. Machado, Leiterin der bundesstaatlichen CARITAS in Maranhão und Projektpartnerin von MISEREOR: „Ich habe Angst, dass wir in eine Diktatur zurückkehren, Angst davor, dass Indigenen, Afro-Brasilianer und Kleinbauern ihr Land entrissen wird und Menschen in Maranhão wieder unter Hunger leiden. Gelingt es Bolsonaro, dass, was er ankündigt, durchzusetzen, bedeutet dies das Ende der Sozialbewegung und die Rückkehr der Folter. Die Sozialbewegung wird sich dann in zwei Gruppen spalten. In eine Gruppe, die schweigt und eine andere, die auf der Straße geht, um gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen. Die Kirche in Maranhão wird dann hoffentlich wieder zu einer Kirche der Befreiung und hinter uns stehen“.

Ähnliches befürchtet auch Walter dos Santos aus der afro-brasilianischen-Gemeinde Piquidarampa. „Falls Bolsonaro an die Macht kommt, bedeutet dies für uns Arme Elend ohne Mitleid“, erklärt Walter. „Bolsonaro sät an Stelle von Frieden Hass, daraus erwächst eine Politik der Verachtung. Ob Afro-Brasilianer, Indigene oder Kleinbauern, gemeinsam werden wir uns dieser Politik widersetzen, denn der Hunger ist stärker als Bolsonaro“.


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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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