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Äthiopien: Hoffnung auf Frieden und menschliche Entwicklung

Bewegte und bewegende Zeiten herrschen gerade in der Diözese Adigrat im Norden Äthiopiens, direkt an der Grenze zu Eritrea. Dort ist Abune Tesfaselassie Medhin katholischer Bischof einer Diözese, für deren Durchquerung man zwei Tagesreisen mit dem Auto einplanen muss.

Bischof Tesfaselassie Medhin mit Afrika-Abteilungsleiter Peter Meiwald auf dem Dach des Bundestages in Berlin © Riehl I MISEREOR

Bischof Tesfaselassie Medhin mit Afrika-Abteilungsleiter Peter Meiwald auf dem Dach des Bundestages in Berlin © Riehl I MISEREOR

Seit über 20 Jahren lebten die Menschen entlang der rund 1000 km langen Grenze zwischen der äthiopischen Provinz Tigray und dem Bruderstaat Eritrea im Kriegsgebiet, nachdem ein Grenzkonflikt im Jahre 1997 blutig eskalierte. Die Grenzen wurden geschlossen, Familien und traditionelle Handelswege abrupt getrennt, zwischen 50.000 und 350.000 Menschen verloren sinnlos ihr Leben in den Kämpfen und etwa 1 Million Eritreerinnen und Eritreer leben seither auf der Flucht. Trotz eines Waffenstillstands und zweier internationaler Schiedssprüche aus den Jahren 2002 und 2005 blieb die Situation verhärtet, führte beiderseits der Grenze zu einem Erstarken des Nationalismus und diente zur Legitimation der Unterdrückung politischer und zivilgesellschaftlicher Opposition. 

Jetzt ist vieles anders in der Grenzregion. Seit April diesen Jahres hat Äthiopien mit Abiy Ahmed einen neuen Ministerpräsidenten, der nicht nur ca 25.000 politische Gefangene freiließ und alle im Exil lebenden Äthiopierinnen und Äthiopier einlud, nach Hause zurückzukehren, sondern als eine der ersten großen Taten auf das verfeindete Eritrea zuging und am 8. Juli mit dem eritreischen Präsidenten Isaias Afewerki Frieden schloss. Nachdem bereits Mitte Juli der Flugverkehr zwischen Addis Abeba und Asmara wieder aufgenommen wurde, war es am 11. September dann in der Diözese Adigrat so weit: die Landgrenze wurde in einer euphorischen Feier, die in ihren Bildern und Auswirkungen der Berliner Maueröffnung sehr nahe kommt, geöffnet.


Seitdem strömen die Menschen über die Grenze zu ihren Freunden und Verwandten, die sie jahrzehntelang nicht treffen konnten. Doch nicht alle trauen dem Frieden. Vor allem auf der eritreischen Seite, auf der man weiterhin auf eine ähnliche Perestroika wie sie Äthiopien erlebt, wartet, sorgen sich viele Menschen, dass die Grenzöffnung vielleicht doch nicht von Dauer sein könnte. 10.000 Eritreerinnen und Eritreer ziehen es bisher vor, zur Sicherheit in Äthiopien zu bleiben und erstmal abzuwarten. Sie beantragten Asyl und gesellen sich somit zu den mehr als 900.000 Flüchtlingen aus Südsudan, Somalia und anderen Ländern der Region, die schon seit längerem in Äthiopien Aufnahme gefunden haben.

Von all dem berichtete Bischof Medhin, der jetzt 10 Tage bei MISEREOR in Berlin und Aachen zu Gast war, aus erster Hand, unter anderem auch beim MISEREOR-Jahresempfang mit Minister Müller in Berlin und bei einem Arbeitsbesuch im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages. Den Gästen und Abgeordneten brachte er die großen Hoffnungen der Menschen in seiner Diözese, aber auch im ganzen Land, nahe, die aufbauend auf einer strategischen Entwicklungsplanung der vorherigen Regierungen des Landes nun auf eine gute wirtschaftliche und politische Entwicklung ihres Landes und der ganzen Region setzten. Dabei setzt Äthiopien seit 20 Jahren auf den Aufbau föderaler Strukturen nach deutschem Vorbild, auf eine starke Berufs- und Hochschulbildung der überwiegend jungen Bevölkerung und die gezielte Förderung von Kleingewerbe und Start-Ups. Konstante Wachstumsraten von über 5 % bei einer im Verhältnis zu anderen afrikanischen Staaten relativ geringen Abhängigkeit von Rohstoffexporten scheinen diese Strategie zu bestätigen, allerdings bleibt noch sehr viel zu tun, um der heranwachsenden Generation flächendeckend gute Zukunftsaussichten bieten zu können. Gleichzeitig scheint der charismatische Ministerpräsident Abiy Ahmed, der in einem friedlichen Übergang die Amtsgeschäfte von seinem Vorgänger übernahm und von diesem auch heute noch politisch unterstützt wird, auf einem guten Weg zu sein, die politischen Blockaden der vergangenen Jahre mit ihren Massenprotesten und politischen Unterdrückungen aktiv anzugehen. Die Ernennung zweier Frauen zur Staatspräsidentin und zur Präsidentin des obersten Gerichtshofes ebenso wie die paritätische Besetzung des Kabinetts mit 10 Ministerinnen und 10 Ministern zeigt auch für uns in Deutschland, dass die aktive Genderpolitik der letzten 20 Jahre in Äthiopien nicht umsonst war. Und auch die Konflikte mit den übrigen Nachbarländern wie Djibouti und Somalia bemüht sich Abiy Ahmed, mit aktiver Reisediplomatie beizulegen.

Bischof Medhin erläuterte aber auch die Risiken, vor denen diese von unglaublicher Euphorie in der Bevölkerung getragenen Entwicklungen noch stehen. Die neu gewonnene politischen Freiheiten bieten bisher unterdrückten Separatisten, aus dem Exil zurückkehrenden Exilpolitikern, die vor allem Rache und eigene Macht suchen, aber auch all denen, die durch die aktuellen Veränderungen im Land ihre Pfründe und Privilegien bedroht sehen, Raum und Gelegenheiten, den Prozess zu sabotieren. Aufstände und Scharmützel brechen an verschiedenen Stellen des riesigen Landes auf und stellen die Regierung vor große Herausforderungen. An vielen Orten versuchen die auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene organisierten interreligiösen Komitees gemeinsam die Situation zu befrieden. Dabei ist es eine große Chance, dass die seit langem in Äthiopien inkulturierten Religionen größtenteils sehr toleranten Strömungen zugehörig sind, die eine lange Tradition der Kooperation und der gemeinsamen Arbeit an Bildungsfragen und Justice & Peace-Herausforderungen haben.

Bischof Tesfaselassie Mehdin aus Äthiopien im Bundestag © www.bundestag.de

Bischof Tesfaselassie Mehdin aus Äthiopien im Bundestag © www.bundestag.de

Von deutscher Seite erhofft sich Bischof Medhin eine weiterhin solidarische Begleitung des Entwicklungs- und Friedensprozesses. Unverkennbar ist, dass sich die begonnene politische Öffnung dringend auch in verbesserten Lebenssituationen der Menschen im Land niederschlagen muss, gerade der Armen und Marginalisierten. Hierzu wird die Aufnahme Äthiopiens in die Liste der Reformpartnerschaften mit den „Compact with Africa“-Ländern und die damit versprochene Stärkung deutscher unternehmerischer Direktinvestitionen keinesfalls ausreichen. Wichtig sind vor allem weitere Investitionen in berufliche Ausbildung, ökologische Sanierung des Landes und den Kampf gegen die drastischen Folgen des Klimawandels insbesondere für die bäuerliche Landbevölkerung. Hier appellierte der Bischof an die Abgeordneten, verstärkt mit Nichtregierungsorganisationen wie MISEREOR zusammenzuarbeiten, da diese sehr viel direktere Zugänge zu den Menschen finden könnten, die eben von Unternehmensinvestitionen nicht profitieren würden. Für seine Diözese Adigrat möchte er dabei insbesondere die erfolgreichen Wasserversorgungsprojekte fortführen, die ganze Täler zum Ergrünen gebracht hätten, und seine kirchlichen Bildungs- und Entwicklungsinstitutionen ebenso wie die Kirchengemeinden komplett mit regenerativen Energien versorgen, um den enormen Holzverbrauch in der Region endlich zu stoppen. So kämen die Anforderungen, die sowohl die Enzyklika „Laudato Si“ wie auch das SDG-Abkommen zu den globalen Nachhaltigkeitszielen an die Arbeit der Kirchen wie der politisch Verantwortlichen stellt, in sinnvoller Weise mit einer enkeltauglichen Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Norden Äthiopiens zusammen.

Über den Autor: Peter Meiwald arbeitet als Abteilungsleiter Afrika bei MISEREOR.

Geschrieben von:

Peter Meiwald, Leiter der Afrika-Abteilung bei MISEREOR

Peter Meiwald leitet die Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR.

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