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Madagaskar: Der Reichtum wandert ins Ausland

Madagaskar ist das einzige Land der Welt, das ohne Krieg, Bürgerkrieg oder Intervention von außen einen sozialen und ökonomischen Niedergang erlebt hat, der sonst nur mit gescheiterten Staaten vergleichbar ist. So ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit Erlangung der Unabhängigkeit nahezu konstant rückläufig und liegt heute um 30 bis 50 Prozent niedriger als 1960, obwohl es sich im Durchschnitt in den Ländern südlich der Sahara trotz der generellen ökonomischen Schwäche Afrikas verdreifacht hat.

(von links nach rechts) Gespräch in Madagaskar: Pater Thomas Econome von der Erzdiözese Tamatave, Erzbischof Désiré Kardinal Tsarahazana, Frank Wiegandt (MISEREOR) und der Privatsekretär des Kardinals. Foto: MISEREOR/Florian Kopp


Der Grund für die jahrzehntelange Regression ist in einer ressourcenausbeutenden Elite zu finden, die kaum eine Entwicklungsorientierung aufweist. Nach der Unabhängigkeit Madagaskars 1960 übernahmen einige wenige einflussreiche Familien der gebildeten Oberschicht die wirtschaftliche und politische Macht und halten sie bis heute in den Händen. So kamen bei der letzten Präsidentschaftswahl im Dezember 2018 zwei Kandidaten in die Stichwahl, die beide schon das Präsidentenamt ausgeübt hatten und das Land nicht wirklich vorangebracht haben.

Tropenholz, Land, Bodenschätze

Die kleine Minderheit der wohlhabenden Elite verkauft ganz ungeniert an ausländische Großinvestoren die natürlichen Reichtümer des Landes wie Tropenholz, fruchtbares Land, Fischereirechte, Edelsteine, etc. Das Land ist reich an Bodenschätzen: Chrom, Glimmer, Graphit, Edelmetalle und Edelsteine. Das Unternehmen Rio Tinto hat investiert, betreibteine Ilmenit-Mine bei Fort Dauphin und verschifft Titansand nach Kanada; der Konzern Sheritt baute die größte Nickel- und Kobaltmine der Welt bei Moramanga. Bei all dem bleiben die Rechte der Bevölkerung weitgehend unbeachtet, und das erwirtschaftete Einkommen wird ins Ausland transferiert statt der Entwicklung des Landes zugute zu kommen..

An der Seite der katholischen Kirche in Madagaskar und verschiedener Partnerorganisationen wie BIMTT (Ökumenisches Koordinierungsbüro für ländliche Bildungszentren, zu dem 109 Einzelorganisationen gehören) engagiert sich MISEREOR seit Jahren für den Schutz der Rechte der Anrainer von Großprojekten und für eine gerechte Verteilung der Einkommen der natürlichen Ressourcen.

Rohstoffe für die ganze Welt: In Madagaskar haben die Aktivitäten internationaler Bergabukonzerne in den letzten Jahren zugenommen. Foto: privat

Die katholische Kirche in Madagaskar ist ein anerkannter und engagierter Akteur im Lande, um soziale und politische Veränderung voranzubringen. Papst Franziskus erhob 2018 den Erzbischof von Tamatave, Désiré TSARAHAZANA, in den Rang eines Kardinals. Mit ihm, der am 20. Mai auch nach Deutschland kommt, führten wir folgendes Gespräch:

Wie ist die Situation im Land?

Kardinal Tsarahazana: Es ist nicht leicht zu sagen, warum Madagaskar, ein Land, das so reich an natürlichen Ressourcen ist, so arm bleibt. Ich denke, das Problem liegt im fehlenden politischen Willen der Machthabenden,  wirklich etwas zu verändern. Es gibt eine weitverbreitete Mentalität des „Laisser-faire“, auch des „Jeder für sich“. Die Eliten treffen keine positiven Entscheidungen für das Land und das Volk nimmt die herrschenden Umstände als naturgegeben hin.

Welche Rolle spielt die katholische Kirche für die Entwicklung im Land?

Kardinal Tsarahazana: Die katholische Kirche klärt die Bevölkerung über ihre Rechte auf. Die Verantwortung der Kirche ist es, die Gleichgültigkeit über die herrschenden ungerechten Verhältnisse nicht hinzunehmen und aktiv zu bekämpfen. Es gilt, sich nicht an bittere Armut und Ungerechtigkeit zu gewöhnen. Was nicht normal ist, darf nicht als normal betrachtet werden.

Was sind ihrer Meinung nach Beispiele für sinnvolle Entwicklungsprojekte in Madagaskar?

Kardinal Tsarahazana: Die Kirche ist traditionell stark im Bildungs- und Gesundheitswesen engagiert. Da wo der Staat versagt und Basisdienstleistungen nicht zur Verfügung stellt, da ist die Kirche mit Projekten präsent. Angesichts der Größe Madagaskars und der Abgelegenheit vieler Orte halte ich u.a. Infrastrukturprojekte im Sinne von Straßenbau für sehr sinnvoll. Kommunikation ist überhaupt ein wichtiger Entwicklungsfaktor. Darüber hinaus sind Projekte, die das Bildungsniveau der Bevölkerung, die den Zugang zu Berufsbildung für Jugendliche und die den Gesundheitszustand der ländlichen Bevölkerung verbessern, überaus wichtig.

Was erwarten Sie vom Papstbesuch im September 2019?

Kardinal Tsarahazana: Der Papst wird uns Mut machen. Er wird uns sagen, dass wir nicht aufgeben dürfen und weder enttäuscht noch fatalistisch sein sollten. Er wird auch den Regierungsstellen sagen, dass die Unsicherheit (Viehraub, Landraub) im Land bekämpft werden muss. Ohne Sicherheit, ohne Frieden, wird es keine Entwicklung geben.

Was erwarten Sie von ihren Partnern in Europa, insbesondere in Deutschland?

Kardinal Tsarahazana: Wir sollten uns gegenseitig gut zuhören und miteinander sinnvolle Projekte für die Entwicklung Madagaskars durchführen. Wir wollen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Schutz der Menschenrechte und Infrastrukturaufbau mehr tun können. Dafür brauchen wir die Unterstützung unserer Partner in Deutschland.

Über den Autor: Frank Wiegandt arbeitet als Berater von MISEREOR in Madagaskar.




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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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