Im Nordosten Brasiliens leben kleinbäuerliche Familien unter erschwerten Bedingungen. Sie müssen mit langen Trockenzeiten und großer Wasserknappheit umgehen. Gute Agrarerträge und damit auch die eigene Versorgung mit Lebensmitteln sind immer wieder gefährdet. Doch die Lage ist nicht ausweglos – im Gegenteil. Die Anlage sogenannter Waldgärten oder – wie es Fachleute nennen – die Realisierung von Agroforstsystemen können den Menschen in der Region ein gutes Auskommen sichern. Davon konnte sich Sarah Schneider, Referentin für ländliche Entwicklung und Ernährung bei MISEREOR, vor einiger Zeit bei einem Besuch vor Ort überzeugen. Sie ist sehr angetan von dem, was sie gesehen hat, und erläutert anlässlich des Welternährungstages in unserer Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ nähere Details zu dem dahinterstehenden Konzept.
Was ist Dein Lieblingsprojekt?
Sarah Schneider: Das ist ein Projekt aus dem Nordosten Brasiliens zur Stärkung der Resilienz kleinbäuerlicher Familien von unserer Partnerorganisation Centro Sabiá.
Und warum liegt Dir dieses Projekt besonders am Herzen?
Schneider: In diesem Projekt wird sehr facettenreich gearbeitet. So werden die kleinbäuerlichen Familien zum Beispiel darin beraten, wie sie Agroforstsysteme anlegen können, bei denen wir auch von sogenannten Waldgärten sprechen. Dabei werden verschiedene Feldfrüchte mit diversen Baumarten kombiniert. Dadurch werden die Familien widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels. Sie leben diesbezüglich in einer sehr schwierigen Region, und daher ist es umso wichtiger, dass sie mit Hilfe des Centro Sabiá sich auf so wirksame Weise darauf einstellen können.
Was macht die klimatische Situation im Nordosten Brasiliens so herausfordernd?
Schneider: Es ist eine semiaride, also trockene Region. Das bedeutet, dass der Regen übers Jahr gesehen sehr unregelmäßig fällt und viel Niederschlag verdunstet. Das führt zu verbreiteter Wasserknappheit, phasenweise auch akutem Wassermangel. Landwirtschaft zu betreiben ist unter diesen Voraussetzungen schwierig. Die Situation verändert sich immer wieder stark, und die Bäuerinnen und Bauern müssen sich dann neu an die klimatischen Bedingungen anpassen. Viele von ihnen betreiben Landbau und Viehwirtschaft und werden zu beiden Themen von unseren Partnern beraten. Für die Tiere ist zum Beispiel das System der Waldgärten sehr wertvoll. Die Bäume, die gemeinsam mit den Feldfrüchten angepflanzt werden, liefern Zweige und Laub. Auf diese Weise haben die Landwirtinnen und Landwirte auch dann Viehfutter, wenn es nicht genug Gras gibt. Und so gelingt es den Menschen, sich gut auf das Klima einzustellen und ihre Landwirtschaft an selbiges anzupassen. Schon in mehreren Dürrephasen hatten sie mit ihren Methoden sehr gute Erfolge zu verzeichnen.
Du hast das Stichwort Waldgärten schon genannt. Kannst Du noch mehr Details nennen, was mit diesem Agroforst-System verbunden ist?
Schneider: Unsere Partnerorganisation ist mit verschiedenen Beratungsbüros in der Region präsent und steht den Bauern und Bäuerinnen für vielseitige Unterstützung zur Verfügung. Das Centro Sabiá eröffnet den Menschen zum Beispiel den Zugang zu Setzlingen. Auch besteht die Möglichkeit des Austauschs von Saatgut und Setzlingen zwischen den verschiedenen kleinbäuerlichen Familien. Wichtiges Merkmal der Waldgärten ist, dass der Boden kontinuierlich bedeckt bleibt durch Laub und Äste, und dass dadurch nur wenig Wasser verdunsten kann. Wegen des warmen Klimas ist es sehr wichtig, möglichst viel Feuchtigkeit im Boden zu speichern. Die Bäume spenden überdies Schatten, so dass das Mikroklima vor Ort angenehmer wird. Ganz anders als auf abgeholzten Flächen, wo das Land viel leichter austrocknet.
Waldgärten heißt also, dass es eine gut abgestimmte Mischung aus Bäumen und Ackerfrüchten gibt.
Schneider: Ja, das ist die Grundidee. Bäume und vor allem auch einheimische, besonders resistente Pflanzenarten bilden die Basis dieses Agroforstsystems. Man muss wissen, dass diese einheimischen Arten lange Jahre nicht genügend wertgeschätzt wurden. Viele sind verlorengegangen. Das Centro Sabiá führt diese Pflanzen bewusst wieder ein und berät die Bäuerinnen und Bauern auch darin, diese sehr widerstandsfähigen Pflanzen und Bäume wieder zu kultivieren.
Warum ist dieses Projekt so erfolgreich?
Schneider: Centro Sabiá hat selbst verschiedene Studien gemacht, um die Wirkung des Agroforst-Ansatzes zu überprüfen. Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass der Boden in solchen Systemen mehr CO2 speichern kann. Es ergibt sich also großes Potential für die Anpassung an den Klimawandel. Mich beeindruckt auch, dass mit den Waldgärten eine große biologische Vielfalt erhalten werden kann. Die Betriebe erzeugen dadurch eine große Vielfalt an Produkten. Damit können sich die kleinbäuerlichen Familien, die ja oft Selbstversorger sind, auch variantenreicher und besser ernähren. Es werden etwa mehr Obst und Gemüse konsumiert, was sich dann auch auf die Gesundheit der Menschen positiv auswirkt.
Wie wirkt sich das Ganze auf die Viehhaltung aus?
Schneider: Auch in diesem Bereich wird die Widerstandsfähigkeit der Betriebe gestärkt. Gehalten werden vor allem Schafe und Ziegen, die durch das Agroforstsystem auch in Jahreszeiten, in denen Futter fehlt, gut ernährt werden können. Was mich besonders berührt hat, war der Bericht eines unserer Partner, der mir erzählte, dass schon in den 1970er Jahren in der Region Dürren auftraten, wie die Menschen in der Region sie in ähnlicher Weise auch heute erleben. Damals waren die Menschen auf solche Problemlagen aber noch nicht so gut eingestellt, und viele sind ebenso wie ihre Tiere gestorben oder erblindet, was mit den heutigen Waldgärten, Zisternen und Sozialprogrammen verhindert werden kann. Mit angemessenen politischen Rahmenbedingungen und Lösungen wie den Agroforstsystemen kann man also auch schwere Dürren überstehen.
Wassermangel und Wüstenbildung
Der Nordosten Brasiliens ist geprägt von weiten semiariden Gebieten, unter anderem im Bundesstaat Pernambuco. Charakteristisch für die Region ist eine höhere Wasserverdunstung (2.000-3.000 mm/Jahr) als Niederschlag (< 750 mm/Jahr), also ein großes Wasserdefizit. Obwohl der Nordosten die agrarisch am wenigsten entwickelte Region Brasiliens ist, konzentriert sich hier die größte Zahl der kleinbäuerlichen Familien. Im ländlichen Bereich sind in der kleinbäuerlichen Familienlandwirtschaft ca. 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung beschäftigt. Ein Hauptproblem für eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion ist, neben dem permanenten Wasserdefizit, die Wüstenbildung (Desertifizierung). Verstärkt wird dieser Prozess durch die fortschreitende Abholzung der nativen Sträucher und Bäume der nordostbrasilianischen Caatinga-Landschaft. Weit über die Hälfte der Flächen sind inzwischen durch verschiedene Stufen der Degradierung betroffen. Trotz dieses Szenarios wird seitens der Regierung eine Landwirtschaft in der Region gefördert, die die natürlichen Bedingungen missachtet und auf eine intensive Bewässerung und kapitalintensive Produktion (z. B. exportorientierte Obstplantagen, Zuckerrohr) setzt. Programme für kleinbäuerliche Landwirtschaft und für das sogenannte Zusammenleben mit dem semiariden Raum („Convivência com o Semiárido“) wurden massiv gekürzt. Zu den teilweise historisch entstandenen Herausforderungen kommen noch die Veränderungen, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden. Die Klimaschwankungen und die damit einhergehenden nicht genau bestimmbaren Veränderungen treffen die Region besonders hart. In den Jahren nach 2012 kam es im semiariden Teil Pernambucos, genau wie in anderen nordöstlichen Bundesstaaten zur schwersten Dürre seit mehreren Jahrzehnten. Die Folge: Stauseen fielen auf ihrem historischen Tiefstand und die Versorgung großer Städte mit Wasser wurde zusehends schwieriger.
Mein Lieblingsprojekt
In der Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ stellen Misereor-Mitarbeitende regelmäßig Projekte vor, die ihnen besonders am Herzen liegen und geben so Menschen aus dem Süden ein Gesicht.