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Nigeria und #EndSARS – ein Land in Aufruhr

Ein ganzes Land im Ausnahmezustand: Hunderttausende protestierende Jugendliche und Sicherheitskräfte, die gewaltsam gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten vorgehen. Diese Bilder und Nachrichten aus Nigeria gingen in den vergangenen Wochen um die Welt. Sie lösten eine Welle der Solidarisierung mit den Protestierenden aus. Das Ziel der Bewegung: Polizeigewalt ein Ende zu setzen. Die weltweite Unterstützung reichte von der nigerianischen Bischofskonferenz über die EU bis hin zu US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden. Unter dem Hashtag der Bewegung, #EndSARS, finden sich auf Twitter bereits über 28 Millionen Tweets; die Forderungen nach grundsätzlichen Veränderungen in dem westafrikanischen Land werden immer lauter. Was sind die Hintergründe der Proteste, wie ist derzeit die Lage im Land? Stimmen aus Nigeria zur aktuellen Situation.

Proteste Nigeria Auflösung Polizei-Sondereinheit
Schon seit Anfang Oktober gehen junge Menschen in Nigeria auf die Straßen, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. © TobiJamesCandids / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Welche Forderungen #EndSARS erhebt

Die nigerianische Polizeieinheit Special Anti-Robbery Squad (SARS) steht schon seit Längerem in der Kritik. Die „Spezialeinheit gegen Raub“ gilt als brutal und unberechenbar. Sie ist bekannt dafür, ihre Macht auszunutzen, statt im Land für Gerechtigkeit und Sicherheit zu sorgen. Die nigerianische Bischofskonferenz (CBCN) machte jüngst in einem Statement deutlich, dass „praktisch jede Nigerianerin und jeder Nigerianer bereits erleben musste, wie gewaltsam und unmenschlich SARS-Offiziere mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes umgehen.“ Seit Anfang Oktober gehen junge Menschen in dem westafrikanischen Land auf die Straßen, um gegen SARS-Polizeigewalt zu demonstrieren. Zu den fünf Kernforderungen der Bewegung zählen die sofortige Freilassung aller in Gewahrsam befindlichen Protestierenden, Gerechtigkeit für alle von polizeilicher Gewalt Betroffenen und Kompensation für ihre Familien, aber auch eine angemessene Bezahlung für Angestellte der Polizei.

Proteste Polizeigewalt Nigeria
In Lagos schossen nigerianische Sicherheitskräfte am 20. Oktober an einer Mautstelle auf Demonstrierende, es gab zahlreiche Verletzte und Tote. © Kaizenify / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Wieso der Staat versagt hat

Die Bischofskonferenz CBCN betont in einem Statement vom 17. Oktober, dass es bei den Protesten letztlich um grundsätzliche Fragen gehe: „Die EndSARS-Proteste sind im Grunde nur ein Beispiel für die fundamentalen Probleme in Nigeria. Die Dreistigkeit und Straflosigkeit, mit der die SARS-Einheit über einen so langen Zeitraum hin walten konnte, ist eine Offenbarung des Versagens des nigerianischen Staates. Die Regierung muss sich darüber bewusst werden, dass das, was die jungen Nigerianierinnen und Nigerianer unter dem Code-Namen #EndSARS fordern, eine Reform der gesamten Polizei, aller Institutionen und einer gesamten Nation ist.“

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes ist jünger als 24 Jahre alt, gleichzeitig ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Nigeria verfügt über große Rohstoffvorkommen, dennoch leben rund 80 der 200 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner in extremer Armut. Nach dem Ende der Militärdiktatur 1999 sind durchgreifende Reformen von Militär, Polizei und Justiz bislang ausgeblieben. Auch Korruption ist ein großes Problem. Die Demonstrierenden fordern nun einen Wandel.

Proteste gegen SARS Polizeigewalt Nigeria
Unter dem Hashtag der Bewegung, #EndSARS, finden sich auf Twitter bereits über 28 Millionen Tweets. © TobiJamesCandids / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Was beim #LekkiMassacre geschah

Nachdem die Bevölkerung wochenlang friedlich protestierte, kam es am 20. Oktober 2020 zu einem drastischen Einschnitt: In Lagos schossen nigerianische Sicherheitskräfte an einer Mautstelle auf Demonstrierende, es gab zahlreiche Verletzte und Tote. Im Netz kursierte daraufhin der Hashtag #LekkiMassacre, es wurde von weiteren, gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften berichtet. Zahlreiche nationale und internationale Stimmen verurteilten das Vorgehen der Regierung. Unter anderem äußerten sich die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie und die Vereinten Nationen kritisch zu den Ereignissen. Am 22. Oktober richtete sich schließlich Präsident Muhammadu Buhari an sein Volk und rief dazu auf, die Proteste zu unterbrechen. Es müsse nun konstruktiv auf politischer Ebene an Lösungen der Probleme gearbeitet werden. Die Demonstrationen auf den Straßen ließen seitdem nach. Allerdings ist diese Entwicklung auch der beunruhigenden Gewaltsituation und Kriminalität in Nigeria allgemein geschuldet.

Wie es weitergehen könnte

Es sei positiv zu bewerten, dass die Regierung einen Schritt auf die Bewegung zugegangen ist. Das betonte die nigerianische Bischofskonferenz in einem Statement anlässlich der Vorfälle vom 20. Oktober. Nigeria befände sich jedoch weit weg von einer schnellen Lösung: „Es ist nun die Verantwortung der Regierenden, Frieden und Einheit im Land wiederherzustellen und auf die Forderungen der Bewegung einzugehen. Wir ermutigen sie dazu, den Dialog mit der gesamten Bevölkerung zu suchen – Oppositionsparteien, der Zivilgesellschaft, religiösen und traditionellen Institutionen sowie den Jugendlichen – und an einem runden Tisch Zukunftsperspektiven zu entwickeln.“

Friedenszeichen vor Nigeria Flagge
„Wir müssen weiter für unser Ziel einstehen, eine Nation mit gleichen Rechten und Gerechtigkeit für alle zu sein.“ © David Peterson / Pixabay

Wie es weitergeht, ist aktuell noch offen. Klar ist: Die Protestbewegung im Land erwartet ernsthafte Veränderungen. Dies macht auch die MISEREOR-Partnerorganisation Resource Centre for Human Rights & Civic Education (CHRICED) deutlich. Die Mitarbeitenden von CHRICED – zu Deutsch etwa „Zentrum für Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Bildung“ – glauben fest daran, dass der Tod ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter sie nicht davon abhalten sollte, weiter für ihre Forderungen einzustehen: „Wir dürfen den Politikerinnen und Politikern nicht erlauben, uns durch ihre Spaltungs- und Regierungstaktik abzulenken. Wir müssen weiter für unser Ziel einstehen, eine Nation mit gleichen Rechten und Gerechtigkeit für alle zu sein.“

Geschrieben von:

Ansprechtpartnerin

Jana Echterhoff ist Länderreferentin für Lateinamerika bei Misereor.

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