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Lieferkettengesetz: Kompromiss mit Defiziten

Am 12. Februar 2021 hat sich die deutsche Bundesregierung auf einen Kompromiss beim Lieferkettengesetz geeinigt. Die Einigung ist ein Erfolg – für den Einsatz zugunsten der Menschenrechte weltweit. Klar ist aber auch: Das Gesetz ist ein Kompromiss mit Defiziten. Für die nächste Runde besteht dringend Nachbesserungsbedarf.

Teepflückerin Sri Lanka
Teepflückerinnen arbeiten oft zu Hungerlöhnen; davon haben auch deutsche Unternehmen bislang profitiert. © Jürgen Scheffler / Pixabay

Menschenrechte nicht länger missachten

Deutsche Modeartikel, die von Kinderhänden genäht wurden. Deutsche Autos, in denen „schmutzige“ Rohstoffe stecken, weil bei ihrer Gewinnung die Umwelt zerstört wird. Kaffee in deutschen Supermärkten, der von Arbeiterinnen und Arbeitern gepflückt wurde, die sich nicht gewerkschaftlich organisieren dürfen. Diese und ähnliche Missstände finden sich tausendfach in deutschen Produkten. Das Label Made in Germany – einst ein Gütesiegel für Qualität und Wertarbeit aus Deutschland – steht heute leider allzu oft für Ausbeutung, für die Missachtung der Menschenrechte und für die Zerstörung von Ökosystemen im globalen Süden. Auf diese Missstände haben auch unsere Partnerorganisationen immer wieder hingewiesen und gemeinsam mit MISEREOR verbindliche gesetzliche Regelungen gefordert.

Einigung nach jahrelangem Tauziehen

Am 12. Februar 2021 hat die deutsche Bundesregierung nun angekündigt, endlich ernsthaft gegen diese Missstände vorzugehen – mit einem sogenannten Sorgfaltspflichtengesetz. Der Ankündigung vorausgegangen war ein jahrelanges Tauziehen: die Initiative Lieferkettengesetz, ein Zusammenschluss von 124 zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu denen auch MISEREOR gehört, etwa 60 renommierte Unternehmen und progressive Kräfte der Regierung forderten bereits seit Jahren, dass deutsche Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden müssen, menschenrechtliche und ökologische Verantwortung entlang der Lieferketten walten zu lassen.

Näherinnen Bangladesch
In Zukunft wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle prüfen, ob sich Unternehmen an ihre Sorgfaltspflichten halten. © Maruf Rahman / Pixabay

Selbstverpflichtung verfehlte ihr Ziel

Die Forderung nach einer verbindlichen Regelung stieß auf den erbitterten Widerstand der mächtigen Industrieverbände und des Wirtschaftsministers. Dabei war dieser Schritt längt überfällig: Zehn Jahre ist es nun schon her, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedete. In der Folge hatte Deutschland einen Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ausgearbeitet. Dieser sah unter anderem vor, deutsche Unternehmen für den Zeitraum von 2018 bis 2020 einem Monitoring zu unterziehen, mit dem geprüft werden sollte, inwieweit in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht tatsächlich nachkommen.

Rohstoffe Elektroschrott Ausschlachten Bangladesch
Ein Manko ist, dass das Gesetz keine zivilrechtliche Haftung vorsieht, wie von MISEREOR gefordert. © Maruf Rahman / Pixabay

Das Ergebnis des Monitoring-Prozesses, veröffentlicht am 8. Oktober 2020, war verheerend: nur 13 bis 17 Prozent der Unternehmen erfüllten die Anforderungen, 83 bis 87 Prozent der Unternehmen erfüllten sie nicht. Mit diesem desaströsen Ergebnis wurde der von der Bundesregierung gesetzte Zielwert von mindestens 50 Prozent „NAP-Erfüllern“ weit verfehlt. Die Regierung hatte zuvor versprochen, ein Gesetz zu verabschieden, wenn freiwillige Maßnahmen nicht zum Ziel führen würden. Mit dem schlechten Abschneiden der deutschen Unternehmen im Monitoring-Prozess konnten selbst konservative Kräfte in der Regierung das Thema nicht mehr vom Tisch wischen.

Neues Lieferkettengesetz: stufenweise ab 2023

Nach langem Ringen kündigte die Bundesregierung nun also das „Sorgfaltspflichtengesetz“ an. Ab 2023 soll es für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigte gelten, ab 2024 für Unternehmen ab 1.000 und nach einer Evaluation möglicherweise auch für solche mit 500 Beschäftigten. In Zukunft wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle prüfen, ob sich Unternehmen an ihre Sorgfaltspflichten halten. Verstößt ein Unternehmen gegen seine Pflichten, kann die Behörde Bußgelder verhängen und das Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Das ist ein großer Fortschritt zu den bisherigen freiwilligen Ansätzen. Ein großes Manko ist, dass das Gesetz keine zivilrechtliche Haftung vorsieht, wie von der Initiative Lieferkettengesetz und MISEREOR gefordert. Ein kleiner Fortschritt ist zumindest, dass NGOs und Gewerkschaften künftig leichter Betroffene vor Gericht vertreten können.

Palmöl Plantagen Malaysia
Für den Anbau von Palmöl wird häufig Regenwald zerstört. © Nazarizal Mohammad / Unsplash

Kompromiss mit Defiziten

Der jetzt ausgehandelte Kompromiss ist ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Wo Made in Germany draufsteht, dürfen keine Menschenrechtsverletzungen drin sein – weder in der Produktion in Deutschland, noch entlang der Lieferketten! Ein Anfang ist nun gemacht. Klar ist aber auch: Das Gesetz ist ein Kompromiss mit Defiziten – in der nächsten Runde gibt es dringenden Nachbesserungsbedarf.

Verbindliche Standards – EU-weit

Das Go für ein Gesetz in Deutschland ist auch ein wichtiges Signal für die EU. Schließlich sollten verbindliche Standards möglichst schnell für alle europäischen Unternehmen gleichermaßen gelten. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments schlägt hierfür eine entsprechende Regulierung mit menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten vor. Zu deren Durchsetzung sind sowohl behördliche Sanktionen als auch zivilrechtliche Haftungsregeln vorgesehen. Einen solch ambitionierten Ansatz sollte die deutsche Bundesregierung auf EU-Ebene unterstützen und zugleich das eigene Sorgfaltspflichtengesetz entsprechend nachbessern.


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Susanne Friess war als Beraterin mit dem Schwerpunkt Bergbau und Entwicklung für die Lateinamerika-Abteilung von MISEREOR tätig.

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