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Starke Frauen für den Wandel

Die Welt ist in vielerlei Hinsicht aus dem Gleichgewicht geraten. Wachsende soziale Ungerechtigkeiten und Klimakrise prägen den Alltag. Es braucht also grundlegende systemische Veränderungen. Was das genau bedeutet und welche besondere Rolle Frauen dabei spielen, erzählt uns anlässlich des Weltfrauentags Sandra Lassak, Referentin für theologische Grundsatzfragen bei MISEREOR.

Weltfrauentag Proteste Nepal WOREC Gender Based Violence
„Immer mehr Menschen und politische Akteure hinterfragen das Gewaltsystem und suchen nach Alternativen; Menschen erheben sich, fordern ihre Rechte sowie radikale Veränderungen ein.“ © WOREC Nepal

Wie nimmst du die Welt wahr, in der wir aktuell leben?

Sandra Lassak: In meiner Wahrnehmung stecken wir lange schon inmitten einer sozial-ökologischen Katastrophe, die das Leben auf dem Planeten immer mehr bedroht. Durch Raubbau an der Natur und Kriege werden Lebensgrundlagen von Menschen weltweit zerstört. Kämpfe um Ressourcen spitzen sich zu, statt Verteilungsgerechtigkeit und gute Lebensbedingungen für alle zu ermöglichen. Wir spüren: Gewalt – direkt oder indirekt – umgibt uns überall. Sie zeigt sich in der Naturzerstörung, dem unmenschlichen Umgang mit Geflüchteten, in Rassismus und Sexismus.

All diese Gewalt ist Bestandteil des kapitalistischen Weltsystems. Es setzt auf permanentes Wirtschaftswachstum und Profitmaximierung zugunsten Weniger und treibt dafür die Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und der Natur gnadenlos voran. Grundlage ist eine Unterwerfungslogik, die auch im Kolonialismus eine Rolle gespielt hat. Seit Jahrhunderten existiert in der westlichen Welt ein Überlegenheitsgefühl gegenüber der Natur, gegenüber Indigenen und Schwarzen, gegenüber Frauen und LSBTTIQ-Menschen (Anm.: die Abkürzung steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und queer). In der Konsequenz mussten und müssen u.a. Frauen bis heute besonders für ihre Rechte und Selbstbestimmung kämpfen. Geschlechtliche Zuschreibungen spiegeln sich auch in der gegenwärtigen Sprache wider. So sprechen wir beispielsweise von „Mutter Erde“, aber „Vater Staat“. Beleidigende Aussagen wie „Du Mädchen“ oder „das ist ja voll schwul“ sind nicht selten.

Gleichzeitig sehe ich aber auch viele positive Entwicklungen. So gibt es immer mehr Menschen und politische Akteure, die dieses Gewaltsystem hinterfragen und nach Alternativen suchen. Menschen erheben sich, fordern ihre Rechte sowie radikale Veränderungen ein. Soziale Bewegungen wie die massenhaften Proteste in Chile seit Oktober 2019 stellen sich neoliberalen Ausbeutungsverhältnissen mit einem klaren „Es reicht“ entgegen. Solche Widerstandsbewegungen vor allem im globalen Süden können auch uns deutlich machen, dass es um wirkliche Veränderungen geht, um grundlegende Umkehr, um es einmal aus christlicher Sicht zu beschreiben.

Frauenrechte Proteste Peru
„Widerstandsbewegungen, vor allem im Globalen Süden, können auch uns deutlich machen, dass es um wirkliche Veränderungen geht, um grundlegende Umkehr, um es einmal aus christlicher Sicht zu beschreiben.“ © Kopp / MISEREOR

Du beschreibst Zusammenhänge zwischen der Unterwerfung der Frau und der Natur. Diese Idee ist auch als Ökofeminismus bekannt. Kannst du noch etwas konkreter beschreiben, was du damit meinst?

Sandra Lassak: Ich möchte das an einem konkreten Beispiel deutlich machen. Frauen haben häufig eine besondere Verbindung zu ihrem Umfeld und setzen sich nicht nur für Gleichstellung und Selbstbestimmung ein, sondern häufig auch für den Schutz der Natur. So auch die Ordensfrau Dorothy Stang, die am 12. Februar 2005 von Auftragsmördern brasilianischer Großgrundbesitzer ermordet wurde. Jahrzehntelang hatte sie sich für den Schutz des Regenwaldes in Amazonien eingesetzt und sich den Plänen der Großgrundbesitzer in den Weg gestellt.

Zum gleichen Zeitpunkt befand ich mich selbst gerade in Brasilien und beschäftigte mich mit brasilianischen Landfrauenbewegungen, die sich gegen die Zerstörung ihres Landes durch Agrarindustrie und große internationale Bergbauunternehmen einsetzten. Auch diese Bäuerinnen erlebten häufig Gewalt durch internationale Unternehmen und den Staat. Doch obwohl es ein Kampf zwischen David und Goliath war, gaben sie nicht auf.

Weltfrauentag Nepal WOREC Gender Equality
„Eine Überwindung der bestehenden Gewaltsysteme kann nur gemeinsam mit Menschen aus allen Erdteilen, Frauen wie Männern, gelingen; ein erster Schritt kann sein, den Anderen zuzuhören, andere Weltsichten kennenzulernen und erlittenes Leid anzuerkennen.“ © WOREC Nepal

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die von Umwelt- und Menschenrechtsaktivistinnen zeugen, die bedroht, körperlich verletzt oder wegen ihres unermüdlichen Engagements ermordet werden. Und da spürte ich hautnah, was der Zusammenhang zwischen der Zerstörung der Erde und der Gewalt an Frauenkörpern konkret bedeutet. Diese Schicksale sind keine einzelnen, unabhängigen Phänomene, sondern müssen im größeren Kontext des Gewaltsystems betrachtet werden.

Den Frauen geht es in den Auseinandersetzungen um ihre Territorien um viel mehr als nur das Stück Land im Sinne von Ackerboden. Es enthält ihre Identität, Tradition und überlieferte Weisheiten, ihre Lebensweise und ein Gefühl des Verbundenseins mit dem Kosmos und der Natur. Ihr Territorium vor der Zerstörung und Enteignungen durch Agroindustrie, Bergbau, Öl- oder Holzindustrie zu verteidigen, heißt auch ihre Körper vor den diversen gewaltvollen Zugriffen des Patriarchats zu schützen.

Frauenproteste Brasilien Out of Capitalism
„Frauen weltweit sind schon seit langem wichtige Akteurinnen der Veränderung und gestalten eine zukunftsfähige, solidarische Gesellschaft aktiv mit.“ © A. Schroeder

Wie kommen wir nun zu echten Veränderungen und welche Rolle spielen Frauen dabei?

Sandra Lassak: Zuallererst müssen wir verstehen, dass wir uns nicht für den Schutz der Umwelt einsetzen können ohne gleichermaßen gegen die Gewalt an Frauen und Mädchen und die Diskriminierung von indigenen und schwarzen Menschen vorzugehen.

Wie das Bespiel von Dorothy Stang und der Landfrauenorganisation zeigt, sind Frauen weltweit schon seit langem wichtige Akteurinnen der Veränderung und gestalten eine zukunftsfähige, solidarische Gesellschaft aktiv mit. Dieser Einsatz gegen den grenzenlosen Raubbau an der Natur und für die Verteidigung von Lebensgrundlagen geschieht oftmals unter einem hohen Risiko für ihre Körper und Leben. Zugleich zeigt es ihre Widerstandskraft und dass sie nicht nur Opfer der aktuellen Verhältnisse sind.

Gemeinschaftsgärten Frauenorganisation Brasilien
„Den Frauen geht es in den Auseinandersetzungen um ihre Territorien um viel mehr als nur das Stück Land im Sinne von Ackerboden. Es enthält ihre Identität, Tradition und überlieferte Weisheiten, ihre Lebensweise und ein Gefühl des Verbundenseins mit dem Kosmos.“ © S. Lassak

Für einen grundlegenden Wandel braucht es jedoch noch mehr, denn eine Überwindung der bestehenden Gewaltsysteme kann nur gemeinsam mit Menschen aus allen Erdteilen, Frauen wie Männern, gelingen. Ein erster Schritt kann sein, den Anderen zuzuhören, andere Weltsichten kennenzulernen und erlittenes Leid anzuerkennen. Dazu gehört Offenheit, sich selbst und die bekannten Perspektiven in Frage stellen zu lassen. Dies ist sicherlich nicht einfach und konfliktfrei. Aber ein Zusammenleben jenseits hierarchischer Unterdrückungsverhältnisse ist nur dann möglich, wenn wir andere Erzählungen und Sichtweisen zulassen, die sich von denen der kolonialen Moderne abgrenzen.

In dieser Vision eines friedlichen, würdigen und solidarischen Zusammenlebens ist der Mensch, ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß, nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein Teil der Natur und des gemeinsamen Hauses Erde. Ein Teil des großen Ganzen, aufs engste miteinander verbunden und deshalb abhängig von wechselseitigen Beziehungen. Ein herausfordernder Prozess, der nicht von heute auf morgen gelingt, der jedoch unsere einzige Chance ist, der fortschreitenden (Selbst-)Zerstörung allen Lebens auf diesem Planeten etwas entgegen zu setzen. Denn, um mit den Worten von Berta Cáceres zu schließen, der honduranischen Menschenrechts- und Umweltaktivistin, die 2016 wegen ihres Einsatzes für die Rechte der Indigenen und gegen den Bau eines Wasserkraftwerks ermordet wurde: „Wachen wir auf, Menschheit, es ist keine Zeit mehr!“

Das Interview führte Corinna Würzberger.

Sie sind Visionärinnen. Kämpferinnen. Trägerinnen von Entwicklung. Sie setzen sich ein für eine friedlichere Welt. Für den Erhalt der Erde und für eine Ernährung, die nicht nur satt macht, sondern auch gesund ist und umweltschonend angebaut wurde.


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Sandra Lassak arbeitet als theologische Grundsatzreferentin bei Misereor. Sie hat 7 Jahre in Peru gelebt und gearbeitet und war besonders in der Frauenförderung und im Bereich feministischer Theologie tätig.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Toles Interview; danka Sandra!
    Wobei es mir wichtig scheint, auch die Theologie zu dekolonisieren: Solange im Himmel eine Hierarchie besteht und Frauen in den Kirchen diskriminiert werden, wird’s auch auf Erden nicht besser!

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    Guten Abend Frau Sandra Lassak,
    Die Vision eines friedlichen, würdigen und solidarischen Zusammenlebens ist der Mensch, ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß, nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein Teil der Natur und des gemeinsamen Hauses Erde. Fur diesen Satz und diesen Satz alleine lohnt es sich friedlich zu kämpfen und die die Hoffnung auf eine wahrlich paradiesische Zukunft nicht aufzugeben. Seit über 32 Jahren setze ich mich ein die Lebensbedingungen in Peru überwiegend für Frauen und deren Kinder zu verbessern. Und dies gelingt überwiegend nur in enger Zusammenarbeit mit klugen Frauen vor Ort, die ehrlich und absolut vertrauenswürdig sind und wissen was elemententar wichtig ist. Dies muss auch gewürdigt werden. Z.B. Unserer Koordinatorin Dr. Melva Delgado wurde auf meine Veranlassung mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland vom Deutschen Botschafte in Lima ausgezeichnet Männer, wie Weihbischof Adriano Tomasi unser Mentor und Gründer der Schule Juan XXIII , sowie San Franciso in Huaycan gehört als sehr tüchtiger Ordensmann dazu und fördert besonders Frauen. Danke für Ihren Einsatz.
    saludos cordiales
    Manfred Görgens
    Initiator und Gründer
    der Peru-Hilfe. St. Maria Himmelfahrt
    Uedelhoven

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    Den Artikel kann ich voll unterschreiben. Es gibt wichtige Schritte auf dem Weg, z. B. Die Vergabe von Microkrediten an Frauen sind ja sehr erfolgreich. Werde mich noch mehr mit dem
    Thema beschäftigen.
    Eine Anmerkung: Es wäre sinnvoll am Ende die weibliche Form von „Autor“ zu verwenden. Es handelt sich ja eindeutig um eine Autorin.
    Mit freundlichen Grüßen
    Angelika Halemba

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