Suche
Suche Menü

Digitale Bildung in Zeiten der Pandemie

Manchmal werden flotte Vorgaben von der Realität überholt. „Jedes Kind hat das Recht auf eine inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung.“ So wird es in den UN-Nachhaltigkeitszielen formuliert – und damit der Zugang zu Bildung für alle gefordert. Doch wie ist es um das Erreichen dieser Ziele bestellt in Zeiten von Corona, Homeschooling und digitaler Bildung? Wie ist die Lage in Deutschland und wie sieht es im globalen Süden aus?

digitales Lernen global Corona
Gleichsam über Nacht wurde digitales Lernen in vielen Teilen der Welt zur neuen Realität für Schülerinnen und Schüler. © Annie Spratt / Unsplash

Seit eineinhalb Jahren bestimmt die Pandemie das Leben von Millionen Menschen in aller Welt. Corona begegnet auch mir fast täglich bei meiner Arbeit an einer Grundschule und lässt mich viel über die Auswirkungen im Bildungsbereich nachdenken. Gleichsam über Nacht wurden Homeschooling und digitales Lernen zur neuen Realität für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler. Und das in vielen Teilen der Welt.

Globaler Süden besonders betroffen

Vor allem der globale Süden ist von den Auswirkungen der Pandemie im Kontext der Digitalisierung an Schulen betroffen. Dort zeichnet sich eine fortschreitende Verschlechterung der Bildungslage ab. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent verschärft sich die Situation zunehmend, da es an Infrastruktur für Online-, Lehr- und Lernangeboten fehlt. Hinzu kommen mangelnder oder zu teurer Internetzugang, „begrenzte digitale Fähigkeiten und die digitale Kluft“ (GIZ), sowohl zwischen reich und arm, Stadt und Land sowie zwischen den Geschlechtern. Schulschließungen wegen Corona haben auch den afrikanischen Bildungssektor insgesamt hart getroffen. Auch dort war man nicht auf die Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie vorbereitet.

Gemeinsam mit seinen Partnerorganisationen setzt sich MISEREOR auch in Afrika schon seit vielen Jahren für eine hochwertige und gerechte Bildung ein, die allen Menschen gleichermaßen zugutekommen soll. Im April 2020 hatte die Europäische Kommission eine globale COVID-19-Krisenreaktion der EU angekündigt, um unter anderem durch digitale Lösungen das Bildungssystem im östlichen und südlichen Afrika sowie in den Ländern im Bereich des Indischen Ozeans zu stärken. Diese Maßnahme wurde von der EU und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kofinanziert.

digitales Lernen weltweit
Digitale Lern- und Kommunikationsformen könnten den Weg in eine Post-COVID-Welt ebnen, in der – theoretisch – jedem Kind weltweit orts- und zeitunabhängig der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten offensteht. © Sasin Tipchai / Pixabay

Zugang zu Wissen erleichtern

Durch die neuen Möglichkeiten des digitalen Lernens kann der Weg in eine Welt bereitet werden, in der – und die Betonung liegt auf „theoretisch“ – jedem Kind weltweit orts- und zeitunabhängig der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten gewährleistet werden kann. Unser digitales Zeitalter besitzt großes Potenzial, den Zugang zu Wissen und Bildung zu erleichtern. Es eröffnet Chancen, Lösungswege für globale Herausforderungen zu finden (vgl. Nina Brendel, Gabriele Schrüfer und Ingrid Schwarz: Globales Lernen im digitalen Zeitalter, 2018). Auch die durch das digitale Lernen geförderte Medienkompetenz hat die Voraussetzung, sich positiv auf digitale Bildung auszuwirken.

Digitale Lernangebote für alle

Die vielen Möglichkeiten für mehr chancengerechte Bildung weltweit, die digitales Lernen mit sich bringen kann, zeigen unterdessen auch, dass eine Transformation der digitalen Bildung erforderlich ist. In den Augen zahlreicher Bildungsexpert*innen ist digitales Lernen schon längst für die Zukunft gesetzt. Gegenwärtig wird uns diese Tatsache besonders dramatisch durch die Corona-Krise vor Augen geführt. Sie zeigt die Notwendigkeit, dass digitale Lernangebote von Schulen für alle Mädchen und Jungen verfügbar sein müssen, denn zu den Hochzeiten der Pandemie im April 2020 waren laut UNICEF weltweit 90 Prozent der Schulen geschlossen worden. Ziemlich ernüchternd wirkt dann doch die Tatsache, dass das vermeintlich fortschrittliche Deutschland im globalen Vergleich der digitalen Bildung immer noch hinterherhinkt.

Werden Ungleichheiten verstärkt?

Betrachtet man nicht nur ausschließlich die Vorteile des digitalen Lernens, dann zeigen sich auch zahlreiche Herausforderungen und Risiken für und an den Schulen: Bereits vor der Corona-Pandemie führten die fortschreitende Digitalisierung und das digitale Lernen paradoxerweise zu weniger Chancengerechtigkeit und verstärkten teilweise sogar die soziale Ungleichheit im Bildungsbereich. Diese zeichnet sich mit steigender Tendenz etwa auch im lateinamerikanischen Kontext ab: Während die brasilianischen Privatschulen im Rahmen der PISA-Umfrage vergleichsweise sehr gut abschneiden, bilden die öffentlichen Schulen in Brasilien zusammen mit denen in Peru das Schlusslicht in der Region in Bezug auf die gemessene Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler.

digitale Lernangebote in Schulen
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass digitale Lernangebote von Schulen für alle Mädchen und Jungen verfügbar sein müssen; laut UNICEF waren in der Hochzeit der Pandemie im April 2020 weltweit 90 Prozent der Schulen geschlossen. © Arthur Lambillotte / Unsplash

Die Digitalisierung der Schulen in Lateinamerika weist dieses charakteristische, riesige Spektrum an Unterschieden ebenfalls auf. Bessergestellte Familien können ihre Kinder in Privatschulen schicken, die rasch auf Homeschooling umgestellt und digitale Lernangebote zur Verfügung gestellt haben. Kinder aus vulnerablen Familien mussten hingegen mit vollkommen anderen Problemen als bloß einer langsamen Internetverbindung kämpfen: Schule geschlossen, gar kein Internet, kein (digitaler) Unterricht, kein Mittagessen – und ein verlorenes Schuljahr.

Armut erschwert digitales Lernen

Auch in Deutschland sind vor allem Familien betroffen, die nur über ein begrenztes Einkommen verfügen und sich deshalb die für das Homeschooling erforderliche technische Ausstattung finanziell nicht leisten können. Die Wohnverhältnisse großer Familien auf engem Raum lassen zudem ein ungestörtes Lernen der Kinder meist nicht zu. Das bestätigen meine persönlichen Erfahrungen aus einer Aachener Grundschule. Auch Faktoren wie eventuelle Sprachbarrieren in zugewanderten Familien mit Kindern erschweren den Einstieg in das digitale Lernen.

Der Bildungserfolg ist – im globalen Süden wie auch im Norden – zu einem großen Teil von außerschulischen Aspekten und vom familiären Umfeld der Kinder abhängig. Diese Faktoren beeinflussen häufig den Stand und die Entwicklung der digitalen Kompetenzen der Kinder. Derartig heterogene Lernvoraussetzungen schulpflichtiger Kinder führen vor Augen, dass auch Deutschland weiterhin mehr für die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem tun muss. Es ist eben nicht realistisch davon auszugehen, dass jede Familie zu Hause über einen Computer, einen Drucker und stabiles Internet verfügt.

Pragmatismus hilft

Digitalisierung und digitales Lernen besitzen das Potenzial, den individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden und sie zu fördern. Was es dafür braucht? Sowohl eine bessere technische Ausstattung an den Schulen als auch digital kompetente Lehrkräfte sowie mehr Interaktion zwischen ihnen und den Lernenden. Auch gutes digitales Lernmaterial zählt zu den Voraussetzungen für hochwertiges digitales Lernen, das zusätzlich die digitalen Kompetenzen fördert. Hier ist insbesondere die Politik aufgefordert, das Voranschreiten des digitalen Wandels an Schulen zu gestalten. Für benachteiligte Kinder in Ländern des globalen Südens braucht es vor allem pragmatische Ansätze, die für alle zugänglich sind. Die von MISEREOR-Partnerorganisationen durchgeführten Schulprogramme für syrische Kinder im Libanon sind eindrückliche Beispiele, wie zum Beispiel WhatsApp-Videos, Sprachnachrichten und Fotos für den gemeinsamen Unterricht ebenso genutzt werden können wie das Verteilen monatlicher Arbeitshefte an die Kinder.

digitale Kompetenzen Bildungserfolg Kinder
Der Bildungserfolg hängt – im globalen Süden wie im Norden – auch von außerschulischen Aspekten und vom familiären Umfeld der Kinder ab; diese Faktoren beeinflussen häufig die Entwicklung der digitalen Kompetenzen von Kindern. © StartupStockPhotos /Pixabay

Digitales Lernen als Chance

Digitales Lernen in Gestalt von Homeschooling und Fernunterricht stellt alle Beteiligten weltweit vor viele Herausforderungen. Dennoch: In der Theorie und in der anfänglichen Umsetzung sind sowohl in Deutschland als auch im globalen Süden bereits gute Ansätze und Erfolge erkennbar (etwa in Uruguay). Zumindest haben wir eine gute Vorstellung davon bekommen, wo es mit der Bildung hingehen kann und auf welche Weise das geschehen müsste. Die Digitalisierung bietet uns hier große Chancen.

Über die Autorin: Nina Oppitz ist Studierende im Masterstudiengang Theologie und Globale Entwicklung an der RWTH Aachen University, der u. a. von Misereor mitgestaltet wird.

Geschrieben von:

Avatar-Foto

Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.