Den Worten von Papst Franziskus in der Enzyklika Fratelli Tutti zufolge ist die COVID-19-Pandemie „der Sturm“, der unsere Verwundbarkeit als Menschheit aufgedeckt und das Gefühl wiederbelebt hat, dass wir eine globale Gemeinschaft sind. Alle sitzen im selben Boot, in dem die Probleme eines Einzelnen die Probleme aller sind. Einmal mehr wurde uns in der Krise bewusst, dass wir nur gemeinsam gerettet werden können. Daher sollte man annehmen, dass die G20-Staaten mit ihrer im Juli 2021 gefassten „historischen“ Einigung auf eine globale Unternehmenssteuer von 15 Prozent für Unternehmen von einem ähnlichen Verständnis geleitet waren.
„Historische“ Initiative der G7
Die G7-Initiative wurde von den Initiatoren als „historisch“ angesehen, weil sie darin das Potenzial sahen, mit ihr in mehrfacher Weise zur Krisenbekämpfung beizutragen:
- zur Rückzahlung von Schulden, die während der COVID-19-Krise entstanden sind;
- für mehr globale Steuergerechtigkeit, indem der Steuervermeidung multinationaler Unternehmen in den Ländern des globalen Südens, in denen sie Geschäfte machen, ein Riegel vorgeschoben wird
- zur Vermeidung eines Unterbietungswettlaufes von Ländern durch immer niedrigere Körperschaftssteuersätze in der Unternehmensbesteuerung; und
- um Wege zu finden, wie schlüpfrige Tech-Giganten wie Amazon und Facebook ihren fairen Steueranteil an Staaten zahlen können.
Die jetzige Einigung über eine globale Mindestbesteuerung von Unternehmen war längst überfällig, da Regierungen seit langem mit der Herausforderung kämpfen, global agierende Unternehmen, die in vielen Ländern tätig sind, gerecht zu besteuern. Diese Herausforderung ist mit dem Boom der riesigen Digital-Konzerne noch gewachsen.
Unterbietungswettbewerb bei den Unternehmenssteuern
Multinationale Konzerne nutzen den Wettbewerb zwischen den Ländern zu ihrem Vorteil. Sie unterbieten sich gegenseitig durch niedrige oder gar keine Unternehmenssteuern. Die Konzerne suchen sich Länder mit niedrigen Unternehmenssteuern aus, um dort ihre Niederlassungen oder Tochtergesellschaften zu gründen und ihre globalen Gewinne in diesen Ländern zu versteuern. Auf diese Weise zahlen die Unternehmen nur den lokalen Steuersatz, auch wenn sie ihre Gewinne in einem anderen Land erwirtschaften. Obwohl dies legal ist und häufig praktiziert wird, wirft es viele moralische und ethische Fragen auf, zumal einige dieser Gewinne in ärmeren Ländern erwirtschaftet werden, die dringend auf diese Einnahmen angewiesen sind.
Der Vorschlag für globale Mindeststeuern sieht nun vor, dass Unternehmen mehr Steuern in den Ländern zahlen, in denen sie ihre Produkte oder Dienstleistungen tatsächlich verkaufen, und nicht mehr dort, wo sie ihre Gewinne ausweisen. Ein globaler Mindeststeuersatz kann dazu beitragen, die Praxis des Unterbietungswettlaufs mit immer niedrigeren Steuersätzen zu beenden. Auch Teile der Wirtschaft begrüßten die multilaterale Vereinbarung als Möglichkeit, das internationale Steuersystem zu stabilisieren und den Unternehmen Rechtssicherheit zu geben, während gleichzeitig das öffentliche Vertrauen in das globale Steuersystem gestärkt wird.
Am Tag der Verabschiedung haben bereits 131 von 139 Staaten (die im Rahmen des Inclusive Frameworks der OECD zusammenarbeiten) die G20-Empfehlung unterstützt. Der Vorschlag für einen globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent läuft allerdings den Interessen der Länder zuwider, die niedrigere Körperschaftssteuersätze festgelegt haben. Das europäische Niedrigsteuerland Irland mit einem Körperschaftssteuersatz von 12,5 Prozent hat betont, dass das neue Abkommen „den Bedürfnissen kleiner und großer Länder, entwickelter und sich entwickelnder Länder“ gerecht werden müsse. Es bleibt abzuwarten, ob bei der Umsetzung des Abkommens auch die souveränen Besteuerungsrechte der Länder berücksichtigt werden, die gerne niedrigere Körperschaftssteuersätze hätten.
Was bringt das Abkommen den ärmsten Ländern der Welt?
Die Meinung der Mehrheit zivilgesellschaftlicher Organisationen in Afrika ist eindeutig: sie plädieren für eine Ablehnung dieses Abkommens. Erstens argumentieren sie, dass die G7 und gleichfalls die G20 die Mehrheit der Entwicklungsländer nicht einbezieht und somit völlig unrechtmäßig und nicht repräsentativ ist. Dies gilt auch für die OECD mit ihren nur 38 Mitgliedern. So gehören die ärmsten Länder der Welt nicht einmal zu den 139 Ländern, die Mitglied im Inclusive Framework der OECD sind. Dementsprechend protestieren sie vehement dafür, die Zustimmung einiger weniger afrikanischer Länder wie Südafrika bei der Aushandlung des Abkommens nicht als repräsentativ für den Rest der afrikanischen Länder anzusehen. Andere sehen darin auch einen Trick, um die armen Länder dazu zu bringen, mehr Steuerrechte an den globalen Norden abzutreten, was den Weg ihrer Verarmung fortsetzen würde und die Kapazitäten zur Mobilisierung inländischer Einnahmen, insbesondere zur Umsetzung der Agenda 2030 und der SDGs, untergraben würde.
Mindeststeuersatz 15 Prozent: wer profitiert?
Nach Angaben des Tax Justice Network könnte ein höherer Mindeststeuersatz von 21 Prozent mehr als 640 Milliarden Dollar an zusätzlichen Steuern einbringen, als der im Abkommen vorgeschlagene Satz von 15 Prozent. Zudem gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Umsetzung, da der Teufel im Detail dieses Abkommens steckt. So erschweren es beispielsweise die Kategorien der „Restgewinne“ und „Routinegewinne“ insbesondere Entwicklungsländern, mehr Einnahmen aus den zu besteuernden Gewinnen zu erzielen. Deshalb gibt es gute Gründe für die Annahme, dass es die sehr reichen Länder sind, die letztlich am meisten von der Mindeststeuervereinbarung für Unternehmen profitieren werden.
Die Gelegenheit zu Reformen nutzen!
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Regierungen der reichen Länder beginnen, auf die Meinung der Bevölkerung zu hören und sich für etwas mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen. Der historische Charakter des Abkommens kann aus Sicht der Entwicklungsländer darin liegen, dass es eine Gelegenheit bietet, die alten internationalen Besteuerungsregeln zu überprüfen. Viele afrikanische Staaten sind auf die Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung angewiesen, nicht erst seit der aktuellen Krise. Das liegt zum Teil daran, dass sie aufgrund des großen informellen Sektors weniger Einnahmen aus alternativen Quellen wie der Einkommenssteuer haben. Der diskutierte globale Mindeststeuersatz für Unternehmen könnte für viele afrikanische Länder hilfreich sein, die nach wie vor unter Kapitalabflüssen leiden.
Mit einer Stimme verhandeln
Natürlich gibt es auch hausgemachte Probleme in Afrika: Abgesehen von bekannten Steueroasen wie Mauritius und den Seychellen, wo Unternehmen keine Körperschaftssteuer zahlen, gibt es auch in einer Reihe anderer afrikanischer Länder Vergünstigungen in Form von Steuerausschlüssen, Steuerbefreiungen, fiktiven Zinsabzügen, Verlustvorträgen, Steuerbefreiungen und exklusiver Wirtschaftszonen, die unter dem Druck der multinationalen Konzerne entstehen. Eine globale Mindeststeuer könnte daher den afrikanischen Ländern auch eine Gelegenheit dafür bieten, ihre Steuersysteme zu überarbeiten und zu harmonisieren. Dies setzt voraus, dass sie sich bewusst mit den Vor- und Nachteilen des Abkommens auseinandersetzen, um Änderungen vorzuschlagen, die ihre Interessen berücksichtigen. Sie müssen mit einer Stimme verhandeln, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet, ein solches globales System zu überarbeiten.
Wie kann die Kirche helfen?
Insgesamt kann eine solche internationale Initiative nur dann für alle Länder von Nutzen sein, wenn es durch gemeinsame Verhandlungen und im Konsens zustande kommt. Gerade die Kirchen können sich dafür einsetzen, dass die Vorteile des Abkommens universell werden. Und sich dabei insbesondere für die Interessen der Armen einsetzen. Papst Franziskus hat dazu aufgerufen, einen neuen Weg einzuschlagen, um die Probleme in der Welt anzugehen, die sich aus den Ungleichheiten ergeben und die durch die COVID-19-Pandemie noch verschärft werden. Darüber hinaus setzen sich die katholische Kirche, nicht zuletzt auch Papst Franziskus, dafür ein, dass die Prinzipien internationaler Zusammenarbeit – wie die Entwicklung und Förderung der Rechtsstaatlichkeit und die Verwirklichung von Gerechtigkeit für alle Menschen – auch in konkreten internationalen Verhandlungen Beachtung finden. Die Kirche sollte ihre Stimme der Vernunft zur Überwindung globaler Ungerechtigkeiten erheben.
Über den Autor: Andebo Pax Pascal ist Beauftragter für Forschungs- und Advocacyarbeit beim Jesuit Justice and Ecology Network Africa in Nairobi, Kenia.
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