Suche
Suche Menü

Wenn man die Dinge richtig nutzt

Anselm Meyer-Antz ist seit über 20 Jahren Referent bei Misereor. Als damaliger Brasilien-Länderreferent besucht er zu Beginn seiner Misereor-Karriere zum ersten Mal das Beratungszentrum Centro Agroecologico Tamandua, kurz CAT. Seitdem ist er dem Projekt in besonderer Weise verbunden. Ziel ist es, die Lebenslage von Kleinbauernfamilien zu stabilisieren und gleichzeitig ein Landwirtschaftsmodell zu betreiben, welches zukunftsfähig ist.

Ein Mann schaut sich die Produkte von CAT an
Ein Mann schaut sich die Produkte von CAT an ©CAT

Herr Meyer-Antz, Sie arbeiten nun seit über 30 Jahren bei Misereor und haben viele Projekte kennengelernt. Wie sind Sie auf Ihr Lieblingsprojekt gestoßen?

Über mein Lieblingsprojekt bin ich 2004 auf einer Dienstreise in Brasilien quasi gestolpert. Brasilien hatte zu der Zeit unendlich viele Projekte, also bin ich durch den Bundesstaat Minas Gerais gefahren und habe mir die Dörfer mal genauer angeguckt. Minas Gerais ist eine Agrarsteppe, da wächst eigentlich nichts mehr außer afrikanischem Weidegras. Doch wir besuchten ein Dorf, in dem es zu meiner Überraschung Bäume, Affen und Meerkatzen gab. Normalerweise ist es in der Gegend unendlich heiß, doch das Klima in dem Dorf war schon sehr viel angenehmer, da dort Bäume standen. Und in diesem Dorf war eben das Projekt CAT präsent. Ich weiß noch, wie ich mich irgendwie beglückt und verändert fühlte, als ich wieder wegfuhr. Seitdem ist die Arbeit von CAT in Governador Valadares mein Lieblingsprojekt.

Welche Probleme müssen die Menschen in Governador Valadares bewältigen? Und warum ist das Projekt so wichtig?

Aufgrund der klimatischen Gegebenheiten können Familien dort normalerweise keine landwirtschaftlichen Erträge erzielen: Der Betrieb eines Bauernhofes lohnt sich dort ökonomisch betrachtet erst ab einer Anbaufläche von 15 bis 20 Hektar. Daher können sich die ansässigen Familien mit ihren kleinbäuerlichen Parzellen und konventioneller Landwirtschaft nicht selbst ernähren.

Doch in dem Dorf, das ich besuchte, gab es ein Agroforstsystem, in welchem eine Familie generationenübergreifend Zuckerrohr, Baumwolle und Mango anbaute. Für den Anbau sorgten drei Generationen einer Familie: Großvater, Vater und Sohn. Das Bemerkenswerte war, dass sie dadurch so viele Einnahmen hatten, dass sie in die Qualifizierung der Familienmutter investieren konnten. Durch den Überschuss waren sie in der Lage, ihr Studium zu bezahlen, sodass sie Schulleiterin werden konnte. Ein extrem erfolgreiches Projekt.

Projektmitarbeiter versammelt und beraten
Projektmitarbeiter und Dorfbewohner versammeln sich und tauschen sich aus ©CAT

Hatten Sie ein besonders schönes Erlebnis während des Projektbesuchs?

Ja, in Governador Valadares gibt es einen 1700 Meter hohen Berg, und die Bauernfamilien, die um den Berg herum wohnen, haben alternativen Tourismus eingeführt. Sie haben sich für Führungen an den dortigen Granitwänden zu Bergführer*innen ausbilden lassen. Ich bin dort auch mal mitgeklettert, und es hat einen riesigen Spaß gemacht. Das zeigt, wie man im Mikrokosmos, wenn man die Dinge nur richtig nutzt, das Leben ganz stark verbessern kann. Verbindungen wurden hergestellt, zwischen armen analphabetischen Bauernfamilien einerseits und einer Mittelschicht, die so ausgebildet ist, wie Sie und ich. Da kommen zwei Effekte auf ganz tolle Art und Weise zusammen.

Wie ist das Beratungszentrum CAT entstanden und wie sieht die Arbeit vor Ort aus?

Um 1988, nach dem Ende der Militärdiktatur, lebten junge Leute in der Stadt, die aus kleinbürgerlichen Familien kamen. Diese waren in verschiedenen Jugendgruppen der Diözese organisiert und studierten verschiedene Fächer. Darunter waren Agrartechniker*innen, Biolog*innen und Theolog*innen. Sie organisierten sich in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen und gründeten vor dem Hintergrund, dass sich ihre Verwandten mühsam auf Parzellen abplagten, das Bildungszentrum CAT als private Initiative.

Die Beratungen von CAT finden auf Dorfebene statt. Die Berater*innen hören vor allem zu und stellen Fragen wie „Was habt ihr für Probleme?“ und „Was meint ihr könnt ihr anders machen?“. Probleme werden beschrieben, und es wird gemeinsam nach Lösungen gesucht. CAT wird von jungen Agraringenieur*innen getragen, die ihr Wissen in angepasster Art und Weise unter die Leute bringen wollen.

Indigene Dorfbewohner beraten über Landwirtschaftsprojekte ©CAT
Indigene Dorfbewohner beraten über Landwirtschaftsprojekte ©CAT

Herr Meyer-Antz, welche Erfolge haben Sie realisiert?

Ich würde mal davon ausgehen, dass im Laufe der Jahre rund 2.000 Familien beraten wurden. Aber ich will mal auf einfache Art und Weise erläutern, welche Veränderungen ich bemerkt habe:

Ich habe den Bewohner*innen vor Ort immer die Hand gegeben. Das ist in Brasilien nicht üblich, jedoch wissen die meisten Leute, dass das in Deutschland eine gängige Begrüßung ist. Wenn ich meinem Gegenüber die Hand gegeben habe, hat mich diese Person meistens nicht mal ansehen. Da weiß man, dass die Person nicht selbstbewusst ist. Doch nach einigen Jahren haben die Menschen meine Hand ergriffen und mich angesehen, sodass ich wusste, dass sich etwas zum Besseren verändert hat. Ein anderer Punkt ist, dass die Leute in Brasilien keine medizinischen Behandlungen bekamen, die von einer Sozialversicherung getragen wurden. Sie mussten selbst dafür aufkommen. Da Zucker dort ein Grundstoff der Ernährung ist, lächelten sich da regelmäßig furchtbare Karies-Ruinen an, um es einmal sehr flapsig zu formulieren. Ich will mir nicht ausmalen, wie schlecht die Leute in Folge der Zahnschmerzen geschlafen haben. Als ich Jahr später Dörfer besucht habe, Dörfer die auf Landwirtschaft fußen, hatten die Leute plötzlich alle sanierten Zahnstatus oder gesunde Zähne. Da wusste ich, dass da was Gutes passiert ist. Auch bei Kindern und Jugendlichen war das ein Indiz dafür, dass sich insgesamt etwas verändert hat. In den Dörfern von Governador Valadares war es sehr augenfällig, dass sich die Lebenslage durch die Projektintervention enorm verbessert hat. Das hätte nirgendwo anders herkommen können.


Hintergrund

Das im Bundesstaat Minas Gerais gelegene Projektgebiet umfasst 20 Landkreise, die zu der sehr armen Region „Vale do Rio Doce“ gehören. Der Fluss Doce ist durch Überdüngung, unkontrollierten Einsatz von Pestiziden und die Belastung durch in der Nähe gelegene Industriekomplexe zu einem hochgradig giftigen Gewässer geworden. Hinzu kommt die Verseuchung mit Schwermetallen in Folge des Bruchs eines Rückhaltebeckens für Eisenerz im November 2015, bei dem 19 Menschen ihr Leben verloren. Die Partnerorganisation CAT (Centro Agroecológico Tamanduá) hilft, im Flusstal des Rio Doce lebenden Kleinbauernfamilien Alternativen zu schaffen, um ihre Lebensgrundlage weiterhin zu sichern und ihre Felder zu bewirtschaften.


Mein Lieblingsprojekt

Mein Lieblingsprojekt: Hände machen ein Herz

In der Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ stellen Misereor-Mitarbeitende regelmäßig Projekte vor, die ihnen besonders am Herzen liegen und geben so Menschen aus dem Süden ein Gesicht.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.