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„Meine Arbeit ist getan, wenn ich alles gegeben habe“

Josephine Rasolonomenjanahary. Madagaskar. Sie ist Bäuerin und Lehrerin an einer Dorfschule. Will, dass ihr Unterricht lebensnah ist und den Kindern Spaß macht.

Josephine Rasolonomenjanahary © Mellenthin | Misereor
© Mellenthin | Misereor

Das sind meine Wurzeln

Ich bin das jüngste von 8 Kindern, 6 von uns sind Mädchen. Nur 2 haben Abitur gemacht. Die beiden sind die einzigen, die nicht mehr hier in der Umgebung leben, sondern woanders gute Jobs bekommen haben. In meiner Familie ist Wissen hoch angesehen, Bildung bedeutet viel. Aber wir waren auch sehr arm. Als Kind habe ich meinen Eltern auf dem Feld geholfen, habe kleinere Jobs übernommen und zum Beispiel Gemüse auf einem Markt verkauft. So konnten sich meine Eltern das Schulgeld für uns leisten. Früher wollte ich Ordensschwester werden. Leider habe ich nach der 10. Klasse die Prüfung nicht geschafft, damit war die Schule für mich zu Ende. Drei Jahre später habe ich geheiratet.

Das verleiht mir Flügel

Ich habe mein eigenes Einkommen, sogar ein doppeltes, weil ich als Bäuerin und als Lehrerin arbeite. Als Lehrerin verdiene ich sogar 25 Euro im Monat für sechs Schulstunden täglich. Das ist sehr wichtig für uns, denn mein Mann ist blind. Ich muss für ihn sehen. Kurz nach unserer Hochzeit erblindete er auf einem Auge, inzwischen sieht er gar nicht mehr. Am Anfang zögerte ich, die Stelle als Lehrerin zu übernehmen. Ich hatte keine Ausbildung, keine Erfahrung. Aber dann war es gar nicht so schwierig, durch „Learning by Doing“ und monatliche Fortbildungen konnte ich langsam in den Beruf hineinwachsen. Ich bin jetzt 31 Jahre alt, seit zehn Jahren Lehrerin und lerne immer noch weiter. Und ich kann mein Wissen an die Kinder weitergeben.

Wir lernen also alle zusammen, nicht nur die Basics wie Lesen, Schreiben, Rechnen, sondern auch etwas über Landwirtschaft. Der Schulstoff ist lebensnah. Das ist wichtig, damit es den Kindern Spaß macht. Zum Rechnen nutzen wir Bohnen oder Holzstückchen. Buchstaben stehen auf kleinen Kärtchen mit Bildern. Es wird also viel mit dem Alltag verknüpft, der Unterricht ist nah an der Umgebung der Kinder und arbeitet mit dem, was sie kennen.

Dafür setze ich mich ein

Ich setze mich dafür ein, allein für meine Familie sorgen zu können. Ich suche immer nach neuen Wegen, Geld zu verdienen. Ich baue verschiedene Gemüse an: Blumenkohl, Bohnen, Süßkartoffeln, Möhren, Zucchini. Das verkaufe ich samstags auf dem Markt. Ich stehe jeden Morgen um 4 Uhr auf, um das Feld zu bewässern, gehe im Dunkeln mit Taschenlampe los. Danach bereite ich das Essen für meine Familie vor, anschließend unterrichte ich in der Schule. Ich züchte Tiere, habe 10 Hühner und eine Zebu-Milchkuh. Noch ist sie zu klein, aber bald kann ich Milch verkaufen. Jetzt haben wir immer genug zu essen und das macht mich glücklich.

Wenn ich es schaffen kann, eine Familie alleine zu ernähren, dann können es andere Frauen auch. Deshalb möchte ich meine Erfahrungen weitergeben. Ich vermittele den Kindern in der Schule, dass sie ein Ziel haben sollen im Leben. „Was möchtest du werden, wenn du groß bist?“, frage ich sie. Wenn sie mir antworten „Ärztin“ oder „Lehrer“, dann frage ich weiter, wie sie dahin kommen. „Indem wir lernen“, wissen schon die Kleinen. Diese Vision ermutigt sie.

Es muss etwas passieren, weil…

…sich Viele hier auf dem Land das Schulgeld nicht leisten können. Besonders Waisenkinder haben nicht einmal die 3 Euro monatlich für Schulbücher. Ich unterrichte sie umsonst und schenke ihnen das Material, weil ich es mir heute leisten kann. Aber das sollte so natürlich nicht sein. Was wir hier dringend brauchen: Geld. Ein gutes Einkommen. Sonst wird sich nichts ändern.

Meine Arbeit ist getan, wenn…

…ich alles gegeben habe.

Frauen können…

…zur Entwicklung beitragen. Ich habe im Dorf einen Frauenverein gegründet, eine Saatgutbank, bei der man sich Geld leihen kann, wenn man in Not gerät. Unser Ziel ist zu zeigen: Auch Frauen schaffen etwas. Wir sind nicht abhängig, sondern selbständig. Die

Gemeinschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie hat mich aufgefangen, als mein Mann krank wurde, und für uns Geld gesammelt. Bei der Feldarbeit bekomme ich Unterstützung. Dieses soziale Netz soll auch anderen Frauen zugutekommen, denn sie können genauso gut für ihre Familien sorgen wie Männer.

Die Menschen in der Umgebung bewundern mich, weil ich das alles schaffe. Nur darf ich natürlich nie krank werden.


Hintergrund:

Josephine Rasolonomenjanahary ist Lehrerin an einer Schule, die die Gemeinschaft in ihrem Dorf Soanihasina selbst errichtet hat, weil die staatlichen Schulen viel zu weit weg sind. Kleinere Kinder können in Madagaskar oft nicht eingeschult werden, solange sie den Weg nicht alleine zu Fuß schaffen. Die weiten Schulwege sind zu gefährlich für die jüngeren Kinder. Dagegen will das von Misereor unterstützte Projekt Vozama südlich der Hauptstadt Antananarivo etwas unternehmen und unterstützt kleine Dörfer dabei, eigene Schulen für die ersten beiden Schuljahre zu gründen.

Auch Josephines Kinder haben diese Erfahrung gemacht: Die 12-jährige Tochter Esperance läuft täglich zwei Stunden zur Schule und nach Hause zurück, ihr Bruder Athanase mit 7 Jahren eine Stunde. Sie gehen in die 7. und 3. Klasse. Hätten die beiden nicht die Möglichkeit gehabt, an einer Startschule von Vozama zu beginnen, dann wären sie heute längst nicht so weit. Esperance ist sogar Klassenbeste.

Eigentlich ist Josephine Bäuerin. Lehrerin wurde sie, weil sie erkannte, wie wichtig frühzeitige Bildung für die Kinder ist.


Das Interview führte Susanne Kaiser. Als freie Journalistin und Autorin schreibt sie Bücher, Essays und Reisereportagen, meistens über Gesellschaft und Machtverhältnisse. Im Februar 2023 kommt ihr neues Buch „Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen“ bei Tropen von Klett-Cotta heraus. Ende 2020 erschien bei Suhrkamp „Politische Männlichkeit“. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“.



Weitere Informationen zum Partnerland Madagaskar der Misereor-Fastenaktion 2023 und zum Download ein ausführliches Portrait von Josephine Rasolonomenjanahary.


Sie sind Visionärinnen. Kämpferinnen. Trägerinnen von Entwicklung. Sie sind „Starke Frauen“. In unserer Reihe stellen wir sie und ihre Geschichten vor. ►Alle Interviews im Überblick

Sylvie Randrianarisoa aus Madagaskar

Geschrieben von:

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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