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Machtinteressen und Ungleichheit verhindern die nötige politische Antwort auf die Hungerkrise – Ein Interview mit Sefu Sanni

Schon vor der Covid-Pandemie hat der Hunger in der Welt wieder zugenommen. Seit einem Jahr spitzt sich durch den Ukraine-Krieg, die Welternährungssituation noch weiter zu. Sarah Schneider, Referentin für Welternährung bei Misereor, hat mit Sefu Sanni vom Welternährungsrat über die wachsende Hungerkrise und mögliche politische Lösungsansätze gesprochen.

Sefu Sanni vom World March of Women
Sefu Sanni vom World March of Women ist aktives Mitglied im Welternährungsrat (Committee on World Food Security, CFS). Sie koordiniert die Jugendarbeitsgruppe im Ausschuss der Zivilgesellschaft und indigenen Völker (Civil Society and Indigenous Peoples‘ Mechanism, CSIPM) und nimmt an der Arbeitsgruppe zur globalen Ernährungspolitik teil.

Wie sehen Sie die aktuelle Krise und wer ist am meisten davon betroffen?

Sanni: Wissen Sie, wir hatten schon einmal eine Krise wie diese – es ist nicht das erste Mal, dass wir eine Hungerkrise haben. In den Jahren 2007 und 2008 gab es eine sehr große Hungerkrise in der Welt, und wir haben auf internationaler und teils auch auf nationaler Ebene Präventivmaßnahmen entwickelt. Aber was wir nicht entwickelt haben sind langfristige Maßnahmen, so dass wir in der Lage sind, mit einer solchen Krise umzugehen, wenn sie eintritt. Zurzeit erleben wir eine weitere Krise.

Wo sehen Sie die Ursachen?

Sanni: Für uns beim CSIPM (Ausschuss der Zivilgesellschaft und indigenen Völker – Civil Society and Indigenous Peoples‘ Mechanism), ist es besonders wichtig, die zu Wort kommen zu lassen, die am stärksten betroffen sind. Wir hören den Bauern zu, den Frauen, der Jugend, den Fischern, den Hirtenvölkern, der Zivilgesellschaft. Wir konnten dabei einige Dinge feststellen. Da sind zum einen die Auswirkung der Covid 19 Pandemie, darüber brauche ich nicht viel zu sagen. Und es gibt das Problem der Importabhängigkeit bei Nahrungsmitteln und anderen Produkten, das ist besonders in der afrikanischen Region zu beobachten. Ein großes Problem ist auch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Aber auch die Ungleichheiten, die wir weltweit haben. Wenn man sich zum Beispiel Afrika anschaut, dann hat es im weltweiten Vergleich eine geringe Wirtschaftskraft und begrenzten politischen Einfluss.

Und dann ist da der Krieg in der Ukraine.

Sanni: Wie Sie wissen, haben die aktuellen Ereignisse in der Ukraine Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise, sowie die Düngemittel- und Kraftstoffpreise. Nach meiner Einschätzung wird dem Krieg in der Ukraine eine sehr große Plattform gegeben. Wir sehen das, wenn wir zu den Vereinten Nationen gehen, wenn wir zu den meisten internationalen Plattformen gehen, um über die Ernährungslage zu diskutieren. Es gibt seit Jahren Krieg in Afrika – seit über 20 Jahren in Somalia, und es gibt Krieg in der Demokratischen Republik Kongo, es gibt viele Kriege, die in Afrika stattfinden, die leider keine solche internationale Plattform bekommen. Ausländische Länder kommen, um die Ressourcen dieser Gebiete in Afrika auszubeuten und zu plündern, und auch das bekommt nicht so viel Aufmerksamkeit wie die russische Aggression in der Ukraine.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Sanni: Beispielsweise blockierte die Politik des ukrainisch-russischen Krieges die 5o. Sitzung des Welternährungsrats. Es war nicht möglich, wichtige multilaterale Entscheidungen zu treffen – und dies, während Menschen hungern und sterben. Deshalb haben wir in der Arbeitsgruppe für Globale Ernährungspolitik eine Kampagne gestartet: „Ihr macht Politik, wir hungern“. Ernährung sollte nicht als politische Waffe eingesetzt werden, sondern ist in erster Linie ein Menschenrecht. Eine solche Politik bringt bestehende Ungleichheiten ans Licht, beispielsweise, dass wir über den Krieg in der Ukraine sprechen, aber nicht über den Krieg in Somalia. Selbst wenn wir also über international abgestimmte politische Maßnahmen angesichts der Ernährungskrise sprechen – wie können wir diese Ungleichheiten überbrücken, wenn die Europäische Union und die Afrikanische Union so große Unterschiede aufweisen?

Kleinbauern Sahel Mikro-Variabilität
Nicht nur der Krieg in der Ukraine verursacht Hunger. Seit über 20 Jahren erschwert der Krieg in Somalia und der Demokratischen Republik Kongo die landwirtschaftliche Tätigkeit, lebenswichtige Ernten werden zerstört. © Hartmut Schwarzbach / Misereor

Was wären die notwendigen Reaktionen auf die Krise?

Sanni: Das beste Mittel, auf die Krise zu reagieren, ist mit international abgestimmten politischen Maßnahmen durch eine multisektorale Plattform, wie dem Welternährungsrat (CFS). Denn dort sind nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern zum Beispiel auch die Zivilgesellschaft inklusive sozialer Bewegungen vertreten. Ein weiterer Punkt ist, dass die Menschen, die am stärksten betroffen sind, bei der Politikgestaltung an vorderster Stelle mitreden können. Die Politikgestaltung sollte sich also wirklich auf die öffentliche Politik und auf öffentliche Investitionen konzentrieren, bei denen die am stärksten Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Die Hauptrolle sollten nicht die Investoren spielen und auch nicht die Akteure, die Nahrungsmittelhilfe leisten. Wenn wir über öffentliche Investitionen sprechen, dann sollten zum Beispiel 10 Prozent der Staatshaushalte aller Länder für die Landwirtschaft bereitgestellt werden, denn dies ist der Sektor, der die meisten Menschen beschäftigt, der Sektor, der die Menschen mit Nahrung versorgt. Und wir müssen uns auch mit den bestehenden Ungleichheiten zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden auseinandersetzen! Die können wir nicht ignorieren, wenn wir uns mit diesen Themen beschäftigen. Wir sind nicht gleich, wenn wir zu diesen politischen Plattformen kommen.

Welche Rolle spielen die Ungleichheiten im Kampf gegen Hunger und Unterernährung?

Sanni: Es gilt, die Ungleichheiten zu bekämpfen – warum? In meinem Land, Kenia, gab es lange Zeit ein Verbot für gentechnisch veränderte Organismen (GMO), aber mit der neuen Regierung wurde das Verbot von GMO aufgehoben. Warum haben sie dieses Verbot aufgehoben? Wegen der Verschuldung, in der sich das Land befindet. Wenn ein anderer Staat Ihnen Hilfe anbietet und mit Geld kommt und sagt: Wir werden die Schulden des Landes bezahlen, aber im Gegenzug wollen wir, dass Sie bestimmte Gesetze zulassen. Angesichts der niedrigen eigenen Wirtschaftskraft könnten die Politiker*innen darauf eingehen.

Wie Sie sehen gibt es strukturelle Ungleichheiten. Es gibt zum Beispiel Pestizide, die in der EU verboten sind, aber nach Kenia, Südafrika oder Ghana exportiert werden – warum passiert das? Wenn es in der EU verboten werden kann, warum sollte man glauben, dass es in Afrika sicher verwendet werden kann? Und selbst bei dem Podium, das wir gerade sahen, sprach der Landwirtschaftsminister von der Elfenbeinküste darüber, wie sie Kakao anbauen, als einer der größten Erzeuger weltweit, aber den Kakao nie selbst konsumieren, sondern exportieren. Das Gleiche gilt für Kenia: Kenia ist bekannt für seinen Tee. Wir haben so guten Tee, dass mich überall, wo ich hinkomme, die Leute nach kenianischem Tee fragen. Aber ich habe noch nie den hochwertigen kenianischen Tee getrunken, den die Leute in Amerika oder in Europa trinken, obwohl er in meinem Land angebaut wird. Wir trinken auch nicht den hochwertigen Kaffee, der in Kenia angebaut wird. Wir produzieren, und dann exportieren wir nach Europa. Und dann müssen wir unsere Produkte zurückkaufen, nachdem sie verarbeitet worden sind. Das ist wirklich eine große Ungleichheit. Das Gleiche passiert zum Beispiel mit unserer Baumwolle. Wenn wir also die Krise bewältigen wollen, müssen wir diese Ungleichheiten überwinden.

Welche Rolle sollte Deutschland konkret übernehmen?

Sanni: In Bezug auf die deutsche Regierung und insbesondere in Bezug auf das CSIPM möchte ich sagen, dass vor allem das deutsche Landwirtschaftsministerium das CSIPM sehr unterstützt hat. Aber es gibt es auch von Seite der deutschen Regierung eine aufgesplitterte, global nicht abgestimmte Reaktion auf die Hungerkrise, und zwar haben die G7 Staaten die „globale Allianz für Ernährungssicherheit“ (GAFS) ins Leben gerufen, in der Deutschland einer der Hauptpartner ist. Ich würde empfehlen, dass wir nicht so eine zersplitterte internationale Antwort haben, bei der nur ein paar Leute, zum Beispiel nur die G7-Mitglieder, Entscheidungen für die ganze Welt treffen. Eine solche politische Fragmentierung sollte abgeschafft werden, das wäre meine größte Forderung.


Cover der Hunger-Publikation 2022

Die Misereor-Publikation „Herausforderung Hunger – Jahresheft Welternährung 2022/23 zeigt: Wer Hunger bekämpfen will, muss Frauen stärken und Gleichberechtigung fördern. Misereor stellt damit einen wichtigen Aspekt des Themas Hunger heraus, zeigt die Herausforderungen einzelner ausgewählter Länder und Kontexte, stellt Lösungsansätze vor und greift das Bestreben der Bundesregierung auf, eine feministische Entwicklungs- und Außenpolitik zu betreiben.
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Sarah Schneider ist Expertin für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor.

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