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Wenn das Wasser langsam verschwindet

Brasilien: Es ist noch ziemlich früh an diesem Sonntagmorgen auf einer staubigen Huckelpiste im Nordwesten des brasilianischen Bundesstaates Minas Gerais. Und doch herrscht reger Verkehr. Innerhalb von einer Stunde begegnen uns neun schwere Sattelschlepper, vollgepackt mit riesigen Eukalyptus-Baumstämmen. Sie stammen aus der Region und werden nun unter anderem zu großen Brennöfen transportiert, wo aus ihnen Holzkohle hergestellt wird. Die flache, savannenartige Landschaft ist in weiten Teilen effizienter ökonomischer Ausbeutung unterworfen. Soja-Felder bis zum Horizont und eben Eukalyptus-Monokulturen, soweit das Auge reicht. Diese Baumart wächst sehr rasch. Schon nach sieben Jahren kann geerntet und das Holz gewinnbringend verwertet werden.

Kinder vor einem Rohstoff-Güterzug
Hohe Belastungen: Bergbau, industrielle Landwirtschaft und reger Güterverkehr bestimmen das Leben auch der Kinder im Umfeld der Stadt Acalandia im brasilianischen Bundesstaat Maranhao. © Misereor/Florian Kopp

Vor einigen Jahrzehnten, so berichtet Valmir Soares de Macedo von der Misereor-Partnerorganisation CAV, war hier vieles noch von artenreichem Mischwald geprägt. Dieser wurde dann aber systematisch abgeholzt und durch Eukalyptus ersetzt. Aufgereiht wie an der Schnur gezogen prägen nun die immer gleichen Baumfelder das Gebiet. In Minas Gerais, das flächenmäßig größer als Frankreich ist, wachsen Eukalyptus-Bäume auf insgesamt 1,4 Millionen Hektar Land.

Nachhaltig und klimaneutral?

Einer der größten Betreiber der Eukalyptus-Plantagen ist mit der Firma Aperam ein Tochterunternehmen des Stahlkonzerns Arcelor-Mittal. Auch die Holzkohle-Herstellung besorgt das Unternehmen selbst. Denn das Produkt wird in großen Mengen für die von Eisenerz benötigt. Spricht man mit Repräsentanten des Unternehmens, dann fallen vor allem Wörter wie „nachhaltig“, „klimaneutral“ oder „Emissionsminderung“. Aperam sieht sich zukunftsfest und auf der Höhe der Zeit. Als Nutzer eines nachwachsenden Rohstoffs, der bei seiner Verbrennung exakt so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre entlässt, wie in ihm zuvor gebunden war. An der stetigen Reduzierung der Abgasbelastung und des Wasserverbrauchs werde auch laufend gearbeitet. Man sei Vorreiter in Sachen „Grüner Stahl“.

Sattelschlepper transportieren Eukalyptusbäume in Brasilien
Hochbetrieb am Sonntagmorgen: Schwere Sattelschlepper bringen gefällte Eukalyptus-Bäume zu großen Holzkohleöfen. © Misereor/Florian Kopp

Kritischen Fragen bezüglich eines drastischen Rückgangs an natürlichen (Trink-) Wasserressourcen weicht die Firma dagegen aus. Ja, es gebe Probleme mit zunehmender Trockenheit. Aber das sei eher die Folge der Klimaerhitzung. Aktivistinnen und Aktivisten von CAV halten diese Aussage für vorgeschoben. Es sei nachweisbar, dass Eukalyptusbäume dem Boden besonders stark Feuchtigkeit entziehen, sie verbrauchten etwa drei- bis viermal so viel von dem kostbaren Nass wie andere, einheimische Baumarten. Später gehen sie mit uns an ein steiniges Stück Ödland im Jequitinhonha-Tal, in dem eine Vertiefung andeutet, dass es hier mal ganz anders ausgesehen hat. Hier befand sich in einer großen Lagune sehr viel Wasser. Und jetzt? Alles weg!

Pestizid-Einsatz per Flugzeug

Wir treffen ein Ehepaar, das in der Nähe auf seinem Grundstück umfangreiche Landwirtschaft mit Pflanzen und Tieren betreibt. Doch ihr Tun wird immer schwieriger, weil auch hier das verfügbare Wasser stark zurückgegangen ist. Mit anderen Worten: Auf diesem Land noch genügend Produkte für das eigene Überleben zu kultivieren, steht auf der Kippe. Das Paar versucht sich nun gerichtlich gegen das Unternehmen Aperam zu wehren, das es für den Verursacher seiner Malaise hält. Auch anderswo ist die Wasserversorgung von Gemeinden beeinträchtigt. Vielerorts muss die Wasserversorgung durch LKW gewährleistet werden. Zusätzlich werden die Monokulturen per Flugzeug mit Pestiziden und Pflanzenschutzmitteln besprüht, was ebenfalls Auswirkungen auf die Flora und Fauna, das Trinkwasser und die Gesundheit der Menschen hat.

Wir sind unterwegs in Brasilien, um an verschiedenen Orten zu beobachten, wie der Abbau von Eisenerz und dessen Weiterverarbeitung die umliegende Bevölkerung belastet. In Minas Gerais ist dieses Problem sehr gravierend. Der Bundesstaat hat sogar in seinem Namen das stehen, wofür er in erster Linie bekannt ist: als ein Gebiet, in dem außergewöhnlich viele Erze, aber auch Gold und Diamanten gefunden wurden. Es ist eine Region voller Bergbauminen, die in den vergangenen acht Jahren in Mariana und Brumadinho zwei verheerende Dammbrüche im Umfeld von Eisenerzminen erlebt hat. Nun gibt es mit der Mine Apolo Planungen für ein vergleichsweise besonders großes Projekt des Vale-Konzerns.

Eukalyptus-Monokulturen in Brasilien
Wie an der Schnur gezogen: Eukalyptus-Monokulturen in der Nähe der Stadt Turmalina. © Misereor/Florian Kopp

Anwohner und Nichtregierungsorganisationen zeigen sich alarmiert. Denn die Rohstoffförderung soll auf gleicher Höhe wie beträchtliche unterirdische Wasserspeicher realisiert werden. Diese könnten durch den Bergbau unwiederbringlich verloren gehen, die gesicherte Wasserversorgung der Region um Belo Horizonte, der Hauptstadt von Minas Gerais, wäre gefährdet, warnt Constantin Bittner, Misereor-Berater für Bergbau, Umwelt und Menschenrechte in Lateinamerika.  Gleichzeitig drohen Verluste wertvoller Umweltressourcen und der Artenvielfalt in einem direkt angrenzenden Naturschutzgebiet der Serra da Gandarela. Und dann stellt sich weiter die Frage der Sicherheit zahlreicher Staudämme, die den feuchten Abraum von Erzminen festhalten sollen. Für drei von ihnen gilt derzeit die höchste Warnstufe. Was nichts anderes heißt, dass die Gefahr eines Berstens der Bauwerke immens groß ist und daher auch ganze Dörfer evakuiert wurden. Die Betroffenen sind zum Teil schon seit Jahren umgesiedelt, und es bleibt ungewiss, ob sie jemals wieder zurückkehren können.

Tiefseehafen statt Insel-Idyll

Umsiedlungen sind auch einige tausend Kilometer weiter nordöstlich im brasilianischen Bundesstaat Maranhão ein großes Thema. Der kleinen Insel Cajual in der Atlantikbucht Baía Sao Marcos nahe der Millionenstadt Sao Luis droht Natur- und Lebensraumzerstörung von immensem Ausmaß. Zur besseren Verschiffung von großen Mengen an Erzen und landwirtschaftlichen Gütern für den Export vor allem nach Europa und China ist hier ein Tiefseehafen geplant. Dieser wird eine Fläche von zwölf Millionen Quadratmeterneinnehmen und könnte nach den vorliegenden Plänen noch erweitert werden. Insgesamt soll der neue Tiefseehafen eine Lagermöglichkeit für 1,5 Millionen Tonnen Agrarrohstoffe und 15 Millionen Tonnen metallische Rohstoffe bieten. Pro Jahr sollen 140 Millionen Tonnen metallische Rohstoffe, 40 Millionen Tonnen Agrarrohstoffe, zehn Millionen Tonnen Benzin und Düngemittel und zusätzlich Grüner Wasserstoff umgesetzt werden.

Bergbau im brasilianischen Bundesstaat Minas Geraus.
Massiver Eingriff in die Landschaft: In der Region Quadrilateralo Ferrífero im Süden des brasilianischen Bundesstaates Minas Geraus hinterlässt der Bergbau deutliche Spuren. © Misereor/Florian Kopp

Der Hafen würde eine für die Anwohnenden bedeutsame Landschaftsidylle brutal zerschneiden. Eine tropisch-urwüchsig bewachsene Fläche, von der die dortigen Menschen sich gut ernähren können, wo genügend Raum für Obst- und Gemüseanbau ist. Zudem leben hier viele vom Fischfang. Die Stimmung unter den Menschen auf der Insel ist gespalten. Von expliziter Ablehnung des Projekts bis zu vorsichtiger Zustimmung reicht das Meinungsspektrum. Der Investor habe schließlich auch versprochen, ein neues Gesundheitszentrum zu bauen, die schulische Versorgung zu verbessern. Es könnten auch zusätzliche Jobs entstehen. Dennoch: Vom ursprünglichen Zustand der Insel bliebe nicht mehr viel übrig.

Deutsche Bahn als Betreiber im Gespräch

Auch anderswo in Maranhão stehen die Zeichen auf Umsiedlung: Bewohner von Piquia de Baixo die wegen Bergbau und industrieller Landwirtschaft von Staub, Wasserbelastung, Pestizid-Einsatz und Lärm durch mit Eisenerz beladene Güterzüge stark in Mitleidenschaft gezogen werden, können nun in relativer Nähe zu ihren Heimatstandorten in eine neue, besser gelegene Siedlung umziehen – nach fast zwei Jahrzehnten zähem Ringen um Gerechtigkeit. Die Misereor-Partnerorganisation Justiça nos Trilhos unterstützt die Betroffenen im Kampf um ihre Rechte.

Waldarbeiter bearbeiten Holz.
Bedrohtes Idyll: Waldarbeiter auf der Insel Cajual. Wenn hier ein Tiefseehafen angelegt werden sollte, würde das auch ihren Lebensraum gefährden. © Misereor/Florian Kopp

Gleichzeitig wird in der Region vom Eisenerzkonzern Vale bereits eine weitere, 520 Kilometer lange Bahnstrecke von Açailândia zum Atlantik geplant, die den Transport von Erzen, Soja und anderen Exportprodukten beschleunigen und verbessern soll – mutmaßlich auf Kosten zahlreicher Anlieger, vor allem traditioneller Quilombola-Gemeinden, deren ökologisch sensible Naturareale dadurch geschädigt würden, wie Constantin Bittner befürchtet. Zu den möglichen Betreibern der Strecke könnte mit der E.C.O-Group auch eine Tochterfirma der Deutschen Bahn gehören, die allerdings einen entsprechenden Vertrag bisher nicht unterzeichnet hat. Daher will sich ein Bahn-Sprecher zu dem Vorhaben noch nicht äußern. Immerhin: Eine Absichtserklärung gibt es bereits.

Die riesigen Dimensionen des Rohstoffabbaus in Brasilien zeugen von der wachsenden globalen Nachfrage, angesichts derer Fragen von Umwelt- und Menschenrechtsschutz vielfach in den Hintergrund treten. Daher stellt Constantin Bittner eine Forderung von Misereor besonders heraus: „Wir müssen dringend unseren Verbrauch an Rohstoffen reduzieren.“


Am 25. Januar jährt sich der verheerende Dammbruch im brasilianischen Brumadinho zum fünften Mal. Beim Bruch des Bauwerks, das zu einer Eisenerzmine des Unternehmens Vale gehörte, ergossen sich riesige Schlammmassen in der näheren und weiteren Umgebung. 272 Menschen fanden bei dem Unglück den Tod. Gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation ECCHR hat Misereor im Jahr 2019 bei der Staatsanwaltschaft in München eine Anzeige gegen den TÜV Süd eingereicht. Das Unternehmen hatte den Damm im Rahmen eines Zertifizierungsverfahrens für sicher erklärt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach wie vor in der Angelegenheit. Ob und wann sie ein Verfahren gegen TÜV Süd eröffnen wird, ist weiter offen.




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Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

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