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Brumadinho: 5 Jahre Dammbruchverbrechen

Heute vor fünf Jahren brach nahe der Kleinstadt Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien der Staudamm I der Eisenerzmine Córrego do Feijão des Bergbaukonzerns VALE S.A. Noch immer sorgt der Bruch des von einer TÜV SÜD Tochter zertifizierten Damms für Entsetzen.

Verwüstete Landschaft nach einem Dammbruch
Der Dammbruch im Januar 2019 zerstörte die Dörfer und Landschaft in Brumadinho – und begrub kilometerweit Land unter Schlammmassen. © Isis Medeiros

„Achtung! Achtung! Dies ist ein Notfall! Achtung! Achtung! Es handelt sich um eine echte Notsituation mit einem Dammbruch. Verlassen Sie sofort Ihre Wohnungen, begeben Sie sich auf dem Fluchtweg zum Sammelplatz und bleiben Sie dort, bis Sie weitere Anweisungen erhalten.“

Mehrfach im Jahr schallt dieser Notruf über Sirenen durch Orte in Minas Gerais, Brasilien. In diesem brasilianischen Bundesstaat ereigneten sich 2015 und 2019 zwei der verheerendsten Dammbrüche in der Geschichte Brasiliens. Genau heute vor 5 Jahren brach nahe der 40.000 Einwohner zählenden Stadt Brumadinho der Damm der Córrego de Feijão Mine des weltweit größten Eisenerzkonzerns VALE S.A. 272 Menschen verloren an diesem Tag ihr Leben. Ein Tochterunternehmen des deutschen TÜV Süd zertifizierte nur wenige Monate zuvor die Stabilität des Damms, obwohl zwei weitere Prüfunternehmen eine Zertifizierung der Stabilität verweigerten.

Im November 2015, nur knapp drei Jahre zuvor, brach das Rückhaltebecken der Germano-Eisenerzmine bei Mariana – nur 100 Kilometer von Brumadinho entfernt. Auch dieses Becken wurde von VALE S.A. betrieben und forderte 19 Menschenleben. Zudem bahnten sich mehr als 52 Millionen Kubikmeter giftige Bergbauschlämme ihren Weg über den artenreichen Fluss Rio Doce bis in den über 500 Kilometer entfernten Atlantischen Ozean. VALE versicherte daraufhin, dass ein solches Unglück nie wieder geschehen werde („Nunca mais“).

„Achtung! Achtung! Dies ist ein Notfall! Achtung! Achtung! Es handelt sich um eine echte Notsituation mit einem Dammbruch. Verlassen Sie sofort Ihre Wohnungen, begeben Sie sich auf dem Fluchtweg zum Sammelplatz und bleiben Sie dort, bis Sie weitere Anweisungen erhalten.“

Dieser Notruf versetzt Menschen in Brasilien in Todesangst, löst Traumata und Panik aus. In Mariana gab es gar kein Notfall-Alarmsystem, um Menschen zu schützen, in Brumadinho funktionierte es nicht. Mittlerweile haben viele Unternehmen nachgerüstet, doch auch dies kann den Schutz der Bevölkerung nur bedingt gewährleisten. Denn die errechnete Evakuierungszeit bei einem gebrochenen Damm beträgt in einigen Fällen nur wenige Minuten. Das ein Bruch kein Einzelfall ist, zeigt die Statistik. Ein Dutzend verheerender Dammbrüche sind seit dem Jahr 2000 in Brasilien aufgetreten. Aktuell befinden sich 51 Dämme in Minas Gerais und insgesamt 92 Dämme in Brasilien im Notfallzustand. Das sind neun Dämme mehr als im Dezember 2022. Für drei dieser Dämme ist die höchste Notfall-Kategorie ausgerufen, was die Evakuierung der Bevölkerung zur Folge hat. Zwei der Dämme werden von VALE S.A. und einer von Arcelor Mittal betrieben (Stand Dez. 2023). Beides Unternehmen, die große Mengen ihrer Produktion in Europa verkaufen.

Der Rückbau der besonders gefährlichen Dämme wurde nach dem Dammbruch-Verbrechen in Brumadinho per Gesetz beschlossen. Bis August 2021 mussten alle inaktiven Dämme und bis August 2023 alle aktiven Dämme der Up-Stream-Konstruktionsweise zurückgebaut werden. VALE S.A. selbst teilt auf seiner Webseite mit, dass bis heute erst 12 von 30 Dämmen zurückgebaut wurden. Die Beendigung des Rückbaus aller Up-Stream-Konstruktionen ist erst 2035, also in 12 Jahren, vorgesehen. In der offiziellen Liste der Bergbaubehörde werden allerdings nur an vier Dämmen die Rückbaumaßnahmen als abgeschlossen ausgewiesen (Stand Dez. 2023). Up-Stream-Dämme gelten als kostengünstigste Dammbauweise, die aber aufgrund der Bauweise als besonders bruchgefährdet gilt. Der brasilianische Bergbausektor hat ein strukturelles Problem, durch welches Menschenleben und Natur systematisch in Gefahr gebracht werden.

Überreste eines Hauses nach einem Dammbruch
Die Schlammwelle des Dammbruchs riss Häuser mit sich und zerstörte Brücken und weitere Infrastruktur in Brumadinho. © Isis Medeiros

„Achtung! Achtung! Dies ist ein Notfall! Achtung! Achtung! Es handelt sich um eine echte Notsituation mit einem Dammbruch. Verlassen Sie sofort Ihre Wohnungen, begeben Sie sich auf dem Fluchtweg zum Sammelplatz und bleiben Sie dort, bis Sie weitere Anweisungen erhalten.“

Dieser Notruf ertönt seit 2019 mehrfach jährlich, als Fehlalarm. Das Trauma vieler Menschen, die Todesangst und die Angst um die eigene Familie, wird wieder und wieder wachgerufen. Jedes Mal greifen Menschen ihre wichtigsten Sachen und flüchten mit ihren Familien, Freunden und Nachbarn zu „sicheren“ Sammelpunkten, um später vom Unternehmen um Entschuldigung gebeten zu werden. Dann wird auf eine „unsachgemäße Aktivierung“ verwiesen und mittlerweile werden Geldstrafen gegen die verursachenden Unternehmen ausgesprochen. Doch keine Geldstrafe kann die gelebte Todesangst wieder gutmachen. Kein Damm darf das Leben der umliegenden Menschen gefährden – weder direkt noch durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.

In Brasilien wird mittlerweile heftig diskutiert, ob Unternehmen Fehlalarme gezielt nutzten, um Menschen aus Bergbaugebieten zu vertreiben, Immobilien verfügbar zu machen und Grundstückspreise zu senken. Viele Menschen wollen ihre Heimat nicht verlassen, doch in ständiger Gefahr und Panik zu leben und die eigene Familie zu gefährden, kann auch niemand mit sich vereinbaren. Fakt ist, dass vielerorts Unternehmen wie VALE evakuierte und verlassene Grundstücke aufkaufen. Bergbauaktivitäten, der Bau von Infrastruktur oder Propaganda-Naturschutzprojekte lassen sich auf privatem Gelände und ohne potenziell betroffene Bevölkerung leichter und autonomer umsetzen. Langanhaltende Gefahrensituationen und die Zerstörung von Lebensgrundlagen, die zum Wegzug der Bevölkerung führen, lösen letztlich einen Dominoeffekt aus. Weniger Bevölkerung bedeutet weniger Widerstand und weniger öffentliche Versorgungseinrichtungen. Weniger Versorgung führt zu mehr Wegzug.

Fluchtwegbeschreibung
Fluchtwegbeschreibung für den fall eine Dammbruchs in Minas Gerias. © Constantin Bittner/Misereor

Der Fall Brumadinho

Gemeinsam mit fünf Angehörigen von Opfern des Dammbruchs haben Misereor und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) bereits im Jahr 2019 eine Ordnungswidrigkeiten-Anzeige gegen den TÜV SÜD sowie eine Strafanzeige gegen einen ihrer Mitarbeiter in Deutschland, der mutmaßlich von den Sicherheitsrisiken des Dammes wusste, eingereicht. Das Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft ist auch mehr als vier Jahre nach Einreichung noch immer nicht abgeschlossen. Wann eine Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens getroffen wird, ist völlig unklar. Die Verschleppung des Verfahrens muss ein Ende finden und die Eröffnung angekündigt werden. Noch immer sind die Verantwortlichen für das Verbrechen, in Brasilien und in Deutschland, straffrei geblieben.

Reparationsabkommen – Betrug der Betroffenen?

Nach den beiden verursachten Dammbrüchen profitiert VALE S.A. von den steigenden Weltmarktpreisen. Der Preis pro metrischer Tonne Eisenerz liegt heute bei 129 US-Dollar. Am 25.01.2019 lag er bei 75 US-Dollar und seitdem niemals darunter. Im selbst ausgehandelten Reparationsabkommen verpflichtete sich der Konzern zur Zahlung von 37,7 Milliarden brasilianischen Reais (ca. sechs Milliarden Euro) Schadensersatz. Ein Großteil dieser Gelder bleibt jedoch unter eigener Verwaltung. Gelder, die vor allem den Wiederaufbau der Bergbauinfrastruktur fördern. Für die Angehörigen der Opfer und Betroffene ist in diesem Abkommen nur ein geringer Anteil inbegriffen und dies auch nicht hürdenlos.

Dem Reparationsabkommen stehen Dividenden gegenüber, die der Konzern seinen Anteilseignern auszahlt. Allein im September 2021 waren diese mit 40,2 Milliarden. Reais (ca. 6,6 Milliarden Euro) höher als das Reparationsaufkommen. VALE zahlt mehrmals im Jahr Dividenden an seine Anteilseigner. Zuletzt zahlte der Konzern im September 2023 erneut 10,2 Milliarden Reais aus.

Verwüstete Landschaft nach einem Dammbruch
Dammbrüche ziehen nicht nur akute Folgen der Zerstörung nach sich: Durch Schwermetallhaltige Schlämme werden die betroffenen Ökosysteme dauerhaft beschädigt. © Isis Medeiros

Kompensation: Echte Entschuldigung und angemessener Schadensersatz

Der Verlust von 272 Menschen kann mit keinem Preis der Welt kompensiert werden, weshalb Familien der Opfer eine integrale Wiedergutmachung fordern. Diese beinhaltet

  • Das Eingeständnis der Verantwortung und eine Entschuldigung der Unternehmen
  • Die juristische Verurteilung der verantwortlichen Personen und Konzerne
  • Ein angemessenes Gedenken inklusive Gedenkstätte, an der das Verbrechen des Dammbruchs aus Sicht der Betroffenen erzählt wird und alle Namen der Opfer genannt werden
  • die Beseitigung der Umweltschäden
  • Psychologische und medizinische Begleitung für Betroffene
  • Vorkehrungen dafür, dass ein Verbrechen, wie es in Brumadinho und wie schon vorher in Mariana, niemals wieder geschieht.

Die Rolle Deutschlands in den Dammbruchkatastrophen Brasiliens

Auch Deutschland und deutsche Konzerne spielen eine wichtige Rolle in dieser Wiedergutmachung. Nicht nur der TÜV SÜD, sondern auch andere deutsche Unternehmen sind verwickelt. Die Deutsche Bank beispielsweise vergibt Kredite an den Bergbaukonzern VALE. Andere Unternehmen liefern Maschinen, mit denen wiederum Menschenrechtsverletzungen im Bergbau verursacht werden. Und auch als Rohstoffimporteure stehen Deutschland und deutsche Konzerne in der Verantwortung. Im Jahr 2022 bezog die deutsche Wirtschaft 24,3 % des importierten Eisenerzes (2020: 35%) und 34,3 % des Roheisens (2020: 27 %) aus Brasilien (BGR, Rohstoffsituation 2022), welche hauptsächlich in der Automobil- und in der Bauindustrie zum Einsatz kommen. Deutsche Unternehmen haben die Möglichkeit auf Verbrechen, wie in Brumadinho, zu reagieren und sie nicht stillschweigend zu akzeptieren.

Damit Unternehmen die Risiken in ihren gesamten Lieferketten untersuchen, muss ein starkes EU-Lieferkettengesetz verabschiedet werden, welche verpflichtet

  • umfassend menschenrechtliche und ökologische Risiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu untersuchen,
  • entsprechende Maßnahmen zu ergreifen,
  • transparent über die gesamte Lieferkette zu berichten und
  • barrierefreie Beschwerdemöglichkeiten zu schaffen.

Neben behördlichen Sanktionen – wie Bußgeldern und dem Ausschluss von öffentlicher Beschaffung – muss die Gesetzgebung auch Schadensersatzklagen vor europäischen Zivilgerichten ermöglichen, wenn hiesige Unternehmen durch mangelnde Sorgfalt zu Schäden beigetragen haben.

Gedenken an die Opfer des Dammbruchs in Brumadinho

Am fünften Jahrestag des Verbrechens von Brumadinho gedenken wir gemeinsam mit unseren Freund*innen und Partner*innen der Opfer des Bergbaus und erinnern daran, dass das aktuelle Modell der Rohstoffgewinnung die Lebensbedingungen heutiger und zukünftiger Generationen verletzt und die Selbstbestimmungsrechte der Gemeinden beeinträchtigt, die Rechte der Bevölkerungen untergräbt und Ökosysteme zerstört. In Deutschland und Brasilien müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit sich Verbrechen wie in Brumadinho nicht wiederholen!


Justice for Brumadinho!

Misereor-Partner*innen haben eine Beobachtungsstelle für den weiteren Verlauf der Strafverfahren eingerichtet. Auf ihrer Website können Sie sich über die aktuellen Entwicklungen informieren.

Unterstützen Sie die Betroffenen mit Ihrer Stimme und unterzeichnen Sie die Petition für die notwendige juristische Aufarbeitung des Geschehens und für eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts. Zur Petition!


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Constantin Bittner ist Misereor-Berater für Bergbau, Ökologie und Menschenrechte.

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