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Syrien – Ein Jahr nach dem Erdbeben

Schon vor der Erdbebenkatastrophe war die Lage in Syrien verheerend. Seit 2011 befand sich das Land im Bürgerkrieg, den das Regime mit russischer und iranischer Unterstützung weitgehend für sich entschieden hat. Rund 6,9 Millionen Menschen hatten ihre Heimat verlassen, mehr als 6 Millionen waren im Land Vertriebene. Verschärft wurden die Auswirkungen des gewaltsamen Konflikts durch weitere Krisen, vor allem die Auswirkungen der Corona- Pandemie, der hohen Inflation, drastischen Wechselkursschwankungen und einer schweren Treibstoff- und Versorgungskrise, die durch fortdauernde Sanktionen verschärft wurde.

© Franziskaner Orden Syrien
© Pro Terra Sancta

Und dann erschütterte am 6. Februar ein Beben der Stärke 7,8 die Region im Süden der Türkei und dem Nordwesten Syriens. Über 56.000 Menschen starben, Hunderttausende wurden verletzt. Es war eine der folgenschwersten Naturkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte in der Region. In Syrien verloren Tausende Familien ihr Zuhause, viele zum zweiten Mal, nachdem sie schon vor dem Kämpfen des Bürgerkrieges geflohen waren.

Die Not- und Katastrophenhilfe gestaltete sich ausgesprochen schwierig. Das Assad Regime schloss zunächst die Grenzen für Hilfslieferungen. Aber auch nach den Öffnungen kam die internationale Hilfe viel zu zögerlich, teils gar nicht oder in einem viel zu geringem Ausmaß. Die Leidtragenden waren die betroffenen Menschen im Nordwesten des Landes, die verzweifelt auf Zelte, Decken, Medikamente und Lebensmitteln warteten.

In der vom Bürgerkrieg gezeichneten Provinz Aleppo war die Lage besonders verheerend. Trotz Minusgraden harrten die Menschen aus Angst vor Nachbeben und Einsturzgefahr der Gebäude auch nachts im Freien aus. Tausende Familien hatten inmitten eines kalten Winters ihr Zuhause verloren, die Notunterkünfte waren überfüllt, es mangelte am nötigsten.

© Jesuit Refugee Service
© Jesuit Refugee Service

Zuflucht und Hilfe in Schulen, Kirchen und auf öffentlichen Plätzen

In dieser Situation fanden die Menschen Hilfe und Zuflucht bei mehreren lokalen Misereor-Partnerorganisationen, die schon während der langen Jahre des Bürgerkriegs trotz schwieriger Bedingungen ihre Arbeit fortgesetzt hatten. Viele Betroffene konnten zunächst in Schulen, Kirchen und auf öffentlichen Plätzen kampieren und wurden von den Helfern und Helferinnen mit Matratzen, Kissen, Decken sowie warmen Mahlzeiten, Getränken, Medikamenten und Hygieneartikeln versorgt. In den Wochen und Monaten nach dem Erdbeben erhielten Tausende Familien warme Mahlzeiten und Nahrungsmittelpakete.

Die zweite Phase der Hilfe bestand darin, von der direkten Nothilfe zu einer nachhaltigeren Hilfe überzugehen, um die Familien bei der Rückkehr in ihre beschädigten Wohnungen/Häuser zu unterstützen: In Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen wurden Teams von Ingenieuren und Logistikern finanziert, die die Schäden an den Häusern begutachteten und entschieden, welche Häuser und Wohnungen wieder bewohnbar waren. Nötige kleinere Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten wurden finanziert und Möbel zu Verfügung gestellt, die durch das Erdbeben beschädigt waren. Familien, deren Häuser unsicher und unbewohnbar oder völlig zerstört waren, wurden bei der Suche nach einer neuen Bleibe unterstützt und ihre Mieten in Übergangswohnungen bezahlt.

Ende Oktober 2023 konnte sich die Leiterin der Misereor-Verbindungstelle mit Sitz in Beirut, Karin Uckrow, bei einem Projektbesuch in Aleppo ein Bild der aktuellen Lage machen. „Im Stadtbild von Aleppo sieht man immer noch viele zerstörte Gebäude. Die internationalen Gelder für den Wiederaufbau fehlen. Aber die größten Schäden hat die Psyche die Menschen erlitten. Besonders die Kinder sind immer noch stark traumatisiert. Der größte Teil der Bevölkerung ist nach den vielen Krisen und Katastrophen verarmt und auf humanitäre Hilfe angewiesen“, berichtet Karin Uckrow.

© Jesuit Refugee Service
© Jesuit Refugee Service

Psychosoziale Hilfe und Bildungsangebote in der Erdbebenregion

Neben der weiteren Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten wird nun ein großer Schwerpunkt der Misereor-Unterstützung für die Menschen in der vom Erdbeben betroffenen Region in der psychosozialen Hilfe und der Bildung für Kinder, Jugendliche und deren Eltern liegen. 48 Prozent der Familien mit Kindern im Alter von 6 bis 17 Jahren gaben in einer nationalen Erhebung schon vor dem Erdbeben an, dass ihr Kind nicht zur Schule geht, um das Haushaltseinkommen zu unterstützen. Betroffen sind in den meisten Fällen von Kinderarbeit 14- bis 17-jährige Jungen, während Mädchen früh verheiratet werden – ein Teufelskreis der Gefährdung für Kinder und Jugendliche aufgrund wirtschaftlicher Not. In Syrien gehen mehr als zwei Millionen Kinder zwischen 6 und 17 Jahren gehen nicht zur Schule, weitere 1,6 Millionen stehen vor einem Schulabbruch.

© Pro Terra Sancta
© Pro Terra Sancta

Der Misereor-Partner Jesuit Refugee Service (JRS) (Flüchtlingsdienst der Jesuiten) unterstützt die Kinder und Jugendlichen dabei, wieder den Schulbesuch aufzunehmen oder alternative Bildungsangebote zu nutzen. Nach dem Erdbeben wurde diese Arbeit ausgeweitet und zu den 2.500 Kindern und Jugendlichen weitere 1.250 Kinder aus der betroffenen Region in die unterschiedlichen Programme aufgenommen. Hier erhalten die Kinder Basis- und Nachhilfeunterricht, Hausaufgabenhilfe, Ferienprogramme mit spielerischen Komponenten und kulturellen Aktivitäten, Versorgung mit Mahlzeiten, Kleidung und Schulmaterialien. Verhaltensauffällige und traumatisierte Kinder werden psychologisch und sozialpädagogisch unterstützt. Auch die Lehrkräfte und die Eltern werden fortgebildet, um die Kinder zum Lernen und zum Schulbesuch zu motivieren.  

Karin Bräuer, Syrien-Referentin bei Misereor zieht Bilanz: „Ein Jahr nach dem Erdbeben sind die Wunden einer weiteren Katastrophe in Syrien noch längst nicht verheilt. Mehr denn je brauchen die Menschen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.“  Wir unterstützen die Menschen mit unterschiedlichen Projekten und lokalen Partnerorganisationen weiter, um ihnen den Weg in eine bessere Zukunft zu ebnen.


© Pro Terra Sancta


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Barbara Wiegard arbeitet als Pressesprecherin bei Misereor.

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