Frei gewählte Autokraten von Ankara über Moskau bis Washington oder Budapest bereiten uns beim Blick auf die aktuelle Weltlage große Sorgen. Populistische und nationalistische Lautsprecherei übertönt vielerorts das so dringend nötige demokratische Ringen um zukunftsfähige und friedliche Lösungen für die großen Herausforderungen, denen sich die gesamte Menschheit gegenübersieht: Wie kann es gelingen, den Reichtum unserer Erde so zu verteilen, dass alle satt werden?
Wie schützen wir unser Klima vor dem drohenden Kollaps? Wie kommen Freiheit, friedliche Entwicklung und Menschenrechte für alle zum Durchbruch? Diese Fragen sind 2015 in New York mit den globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG) groß deklamiert worden. Heute, kaum drei Jahre später, scheinen sie nicht mehr auf der politischen Agenda zu stehen.
Richtungsweisende Wahlen in Afrika
In diesem schwierigen Weltklima finden auf dem afrikanischen Kontinent 2018 eine ganze Reihe richtungsweisender Wahlen statt. Richtungsweisend deshalb, weil hier sichtbar wird, inwieweit geostrategische Einflussnahmen und Kämpfe um Rohstoffquellen und Absatzmärkte Länder wie Nigeria oder Mosambik von außen bedrängen. Gleichzeitig erhöhen sich vielerorts wie in der Demokratischen Republik Kongo oder in Kamerun die inneren Spannungen. Gründe sind unter anderem die widerstreitenden Interessen der jeweiligen Amtsinhaber mit denen der Jugend. Joseph Kabila (DRC) und Paul Biya (Kamerun) etwa wollen nicht von der Macht lassen, die zahlenmäßig immer stärkere Jugend reklamiert Freiheit und Fortschritt für sich und hofft auf Ausbildungs- und Berufschancen.
Zugunsten billiger Weltmarktpreise wird der Ressourcenreichtum vieler Staaten in Afrika von den herrschenden Eliten im Verbund mit transnationalen Konzernen geplündert. Machtverlust bedeutet für die Eliten also viel mehr als nur das Einbüßen politischer Steuerungsfähigkeit. Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele friedlicher Regierungswechsel in Ghana (2016/17), Sambia (2017) und Botswana (2018). Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass dies im Südsudan, wo eigentlich längst Wahlen hätten stattfinden sollen, nicht passieren wird.
Richtungsweisend ist dieses Superwahljahr auf dem afrikanischen Kontinent auch deshalb, weil die Wahlen ein Seismograph dafür sind, ob und inwieweit Abschottung und Machtsicherung weiter um sich greifen oder Öffnung und Partizipation sichtbar werden, ob Frieden gestärkt oder Gewalt gesät wird.
Simbabwe
Eindrückliches Beispiel ist Simbabwe, wo Ende Juli Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. Der langjährige Despot Robert Mugabe wurde im November 2017 des Amtes enthoben. Sein Nachfolger Emmerson Mnangagwa benötigt eine demokratische Legitimation. Wünschenswert wäre es, wenn es in diesem Kernland des Südlichen Afrikas zu einem wahren demokratischen Richtungswechsel kommt, den die Bevölkerung wünscht. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht – vorausgesetzt es gibt freie und faire Wahlen. Eine politische Schlüsselstellung hat nach wie vor die Armee. Noch zu Regierungszeiten Mugabes hatte das Militär betont, dass es auch einen demokratisch fundierten Machtwechsel nie anerkennen würde. Wenn es hier keine Kehrtwende gibt, würde der aktuell im Land spürbare Hauch eines demokratischen Frühlings nach den Wahlen schnell wieder verfliegen.
Mali
In Mali soll es ebenfalls Ende Juli Präsidentschaftswahlen und im November Parlamentswahlen geben. Sie werden in einem verunsicherten Land stattfinden, das nach dem Bürgerkrieg der vergangenen Jahre noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist. Seit 2012 ist der Norden Malis nach einem Aufstand der Tuareg und dem Terror verschiedener islamistischer Gruppen nicht mehr unter der Kontrolle der Zentralregierung. Ohne glaubwürdige Wahlen droht eine Legitimitätskrise, die die in weiten Teilen Malis herrschende Unsicherheit verschärfen könnte. Entscheidend für die Lösung der Probleme in Mali sind die Bürgerinnen und Bürger und natürlich die Amtsträger und Amtsträgerinnen. Einige gute Grundlagen haben sie schon geschaffen. Dazu gehört zum Beispiel das Friedensabkommen von Alger von 2015. Deutschland und andere Länder könnten und sollten unterstützen. Deutschland, das sich mit Bundeswehrkräften ja weiterhin an der UN-Friedensmission MINUSMA beteiligt, könnte beispielsweise mit einer kohärenten Mali-Politik einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung einiger Herausforderungen leisten.
Kamerun und Mosambik
Heikel dürfte es auch im Oktober bei den geplanten Wahlen in Kamerun und Mosambik werden. Nach einigen politischen Ränkespielen und Machtkämpfen innerhalb der in Mosambik regierenden FRELIMO-Partei ist es mehr als fraglich, ob der Kommunalwahltermin am 10. Oktober überhaupt gehalten werden kann. Ein Scheitern wäre ein Rückschlag im Versöhnungsprozess mit den ehemaligen Bürgerkriegsgegnern der RENAMO. Gerade unter der überwiegend jugendlichen, wenig gebildeten Bevölkerung in der Nordregion Cabo Delgado ist eine weitere Eskalation der Gewalt zu befürchten, wenn nicht bald eine Perspektive für sie erkennbar wird, die ihnen nicht nur demokratische, sondern vor allem auch wirtschaftliche Partizipation an der Entwicklung ihrer an Ressourcen so reichen Region sichert. Dies muss auch die Zielrichtung aller politischen Gespräche der Bundesregierung mit den Verantwortlichen in Maputo sein. Nicht rasche Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Mosambiks ist die Voraussetzung für eine friedliche Entwicklung im Land, sondern Verteilungsgerechtigkeit.
Im von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den englischsprachigen Regionen erschütterten Kamerun werden die Parlamentswahlen voraussichtlich auf 2019 verschoben. Ein alter, neuer Präsident müsste planmäßig im Oktober oder November diesen Jahres gewählt werden, aber ob es dazu kommt, ist noch völlig unklar. Die Bevölkerung in den anglophonen Gebieten lehnt mit Unterstützung weiter Teile der Zivilgesellschaft eine Wahl unter den gegenwärtigen Voraussetzungen ab. Gerade auch die jungen Menschen im Land haben angesichts der bleiernen Zeit unter dem seit 1982 regierenden Langzeitpräsidenten Paul Biya aktuell wenig Hoffnung, dass Wahlen ihnen Verbesserungen ihrer Lebenssituation bringen können. Immerhin: Der französische Präsident Emmanuel Macron betont immer wieder, dass er für eine neue Afrikapolitik eintritt. Dieses politische Moment sollte von der deutschen zusammen mit der französischen Regierung aufgenommen werden, um auf eine Deeskalation des Konflikts einzuwirken. Die Flüchtlinge müssen in ihre Heimat in Kamerun zurückkehren können. Die Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, die unter dem Deckmantel der Aufstandsbekämpfung stattfindet, muss ein Ende haben. Das letzte, was Afrika jetzt braucht, ist ein neuer Bürgerkrieg.
Madagaskar und Demokratische Republik Kongo
Zum Jahresende stehen Präsidentschaftswahlen auf Madagaskar und in der Demokratischen Republik Kongo auf dem Plan. In Madagaskar ist nach jahrelanger schlechter Regierungsführung und damit einhergehendem sozioökonomischem Niedergang dringend ein politischer Wandel nötig. Angesichts schwacher Institutionen ist eine solche Veränderung allerdings derzeit wenig wahrscheinlich. In der Demokratischen Republik Kongo darf Präsident Joseph Kabila verfassungsgemäß nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren, doch ist nicht gesichert, dass er den von der katholischen Bischofskonferenz maßgeblich vermittelten Wahltermin im Dezember nicht doch wieder scheitern lässt, um weiterhin im Amt zu bleiben. Die anstehenden Wahlen sind ein entscheidender Moment für die Zivilgesellschaft und für die in den letzten Jahren entstandenen Jugendbewegungen. Die kongolesische Jugendbewegung La Lucha hat für ihr Engagement für Demokratie und Frieden in der Demokratischen Republik Kongo in diesem Jahr den Friedenspreis des Ökumenischen Netzes Zentralafrika bekommen, gleichzeitig aber durch die Ermordung ihres Mitgründers Luc Nkulula mehr als schmerzhaft erfahren müssen, wie gefährlich und hoch der persönliche Einsatz ist.
Im Grunde gilt am Kongo das gleiche wie am Bosporus, in Kigali wie in Budapest: Die demokratische Realität entscheidet sich an der Frage, welcher Raum einer kritischen Zivilgesellschaft eingeräumt wird. Freiheitliche Teilhabe und Vielfalt von Meinungen und politischen Konzepten sollten als Zugewinn und nicht als Gefahr für die staatliche Souveränität gesehen werden. Einen großen Unterschied allerdings gibt es weiterhin zur Lage in Europa: große Teile der Wählerschaft in den verschiedenen Ländern Afrikas leben nach wie vor in existentieller Armut. Hier müssen wir in den reichen Ländern des globalen Nordens endlich unserer Verantwortung für faire Handelsstrukturen und eine gerechte Verteilung der natürlichen Reichtümer nachkommen.
Über den Autor: Peter Meiwald ist Leiter der Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR
Mehr dazu lesen…
Wahlen 2018 – Friedenschancen und Gewaltpotentiale
Das Jahr 2018 ist für den afrikanischen Kontinent eine Art Super-Wahljahr. In rund 20 Ländern wird gewählt – darunter in Ägypten, Mauretanien, Mali, Kamerun und der Demokratischen Republik Kongo. Das Portal weltkirche.katholisch.de nimmt das zum Anlass, auf die politische wie soziale Situation einiger der Länder zu schauen.