Suche
Suche Menü

Es geht! Gerecht. „Städte sind die Hebel zur Überwindung der Klimakrise“

Die wesentlichen globalen Zukunftsfragen entscheiden sich in den Städten – nicht zuletzt auch die Klimakrise. Almuth Schauber, Referentin für städtische Armut und urbane Klimapolitik bei MISEREOR, sieht daher die Städte und Stadtgesellschaften selbst als die „Hebel zur Überwindung der Klimakrise“ an. Entscheidend sei die Art und Weise, wie Städte im Sinne der (Klima-) Gerechtigkeit gestaltet werden: „Gibt es genügend Wohnraum, sind die Basisinfrastrukturen wie Wasserversorgung und -entsorgung gerecht verteilt? Wie werden Arbeiten und Wohnen zusammen gedacht?“ Gemeinsam mit Partnerorganisationen werden Konzepte und konkrete Ideen entwickelt, wie diese Hebel anzusetzen sind. Der nachhaltigen Mobilität kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Manila Philippinen
„Asien hat die größte urbane Bevölkerung der Welt; jede*r zweite Städter*in lebt in Asien.“ In der Metropolregion von Manila (Philippinen) leben 24 Millionen Menschen. © AGD Productions / Pixabay

Es geht! Gerecht. Das ist das Leitwort der diesjährigen Fastenaktion. Darin nimmt für MISEREOR und seine Partnerorganisationen die Klimagerechtigkeit einen besonderen Platz ein. Was bedeutet Klimagerechtigkeit im Kontext der Partnerländer und von Deutschland?

Almuth Schauber: Deutschland hat historisch 5,56 % zu den globalen Treibhausgasen beigetragen. Im Kontrast dazu: die Philippinen lediglich 0,2 % und Bangladesch sogar nur 0,09 %. Es ist offensichtlich, dass der globale Norden seine Emissionen schnell reduzieren muss, um das 1,5-Grad-Limit zu erreichen. Aktuell steuern wir auf eine Erderwärmung von 2,7 Grad Celsius zu. So gut Partnerorganisationen, etwa in Asien, am Klimaschutz und an der Bewältigung der Folgen der Klimakrise arbeiten, so deutlich ist es, dass unsere Lebensweise, unser Energiehunger und Ressourcenverbrauch sehr schnell auf ein Maß ausgerichtet werden müssen, das ökologische Leitplanken respektiert, das unseren starken Ressourcenverbrauch – und damit unsere Verantwortung für die Krise – anerkennt. Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Politik auf das 1,5-Grad-Limit ausgerichtet wird und vor allem, dass entsprechende Maßnahmen rasch umgesetzt werden. Das fordern auch die Partner der MISEREOR-Fastenaktion 2022.

Wie füllt sich der Begriff der Klimagerechtigkeit in der Praxis und in Deiner Arbeit mit Leben? Welche Beispiele aus dem globalen Süden gibt es? Wie nehmen sich zum Beispiel Partnerorganisationen wie IDIS oder Pagtambayayong des Themas konkret an?

Almuth Schauber: Klimagerechtigkeit auf lokaler und internationaler zu erreichen, ist die größte Motivation für meine Arbeit. Ich bin mit den vielfältigen Folgen konfrontiert, die der Klimanotstand verursacht. Es ist so, dass die Folgen der Klimakrise in Asien stark zu spüren sind. Aktuell sind das die Zerstörungen durch Taifun Rai, der kürzlich Teile der Philippinen verwüstet hat, nun steht der Wiederaufbau an. Mein Fokus liegt auf Städten und Stadtgesellschaften. Asien hat die größte urbane Bevölkerung der Welt, jede*r zweite Städter*in lebt in Asien. Und allein in Asien wird sich die Anzahl städtischer Bewohner*innen in den kommenden 30 Jahren nahezu verdoppeln. Alle Zukunftsfragen haben damit ein zunehmend städtisch konturiertes Gesicht: die Überwindung der Armut ebenso wie die Bewältigung der Folgen des Klimawandels und der Klimaschutz. Die Urbanisierung und die Bewältigung der Klimakrise bedeuten, dass wir schnell und umfassend handeln müssen. Ich finde es wichtig, dass die Betroffenen die Gestaltung ihrer Zukunft in die Hand nehmen.

Aktuell konsumieren Städte etwa 70 % der weltweit genutzten Energie und tragen maßgeblich zu CO2-Emissionen bei. Die urbanen Treibhausgasemissionen liegen sogar bei 75 %. Das macht deutlich, dass Städte und Stadtgesellschaften selbst die Hebel sind, die Klimakrise zu überwinden. Genau hier setzen wir an: MISEREOR unterstützt seine Partnerorganisationen darin, Städte und Stadtgesellschaften als Hebel zu sehen und konkrete Ideen zu entwickeln, wie diese Hebel anzusetzen sind.

Radwege Philippinen
In Davao auf den Philippinen, wo die Partnerorganisation IDIS seit Langem für eine sichere Radinfrastruktur eintritt, wurden mehr als 40 km Pop-up-Radwege geschaffen. © Manman Dejeto / MISEREOR

Die Bemühungen, sich für die Folgen der Klimakrise zu wappnen, sind ein weiteres Handlungsfeld: Katastrophenvorsorge ist für Bewohner*innen von Armensiedlungen sehr wichtig. Das wird von Partnerorganisationen erfolgreich durchgeführt und trägt dazu bei, die Zahl der Personenschäden zu minimieren. Klimafolgen betreffen viele bzw. so gut wie alle Lebensbereiche. Traumatische Erlebnisse wie Überflutungen und Erdrutsche sorgen ebenso für eine Zunahme an psychischen Erkrankungen wie die Furcht vor Naturkatastrophen. Hunger, Verlust des Lebensunterhalts und verseuchtes Trinkwasser sind ebenfalls Themen, genauso wie die Linderung von Hitzestress oder die Sicherung der Trinkwasserversorgung.

Ein Schlüsselthema ist nachhaltige Mobilität. Große Teile der Bevölkerung in Deutschland – und sicher in anderen Ländern des globalen Nordens ebenso – verbinden damit in erster Linie (individuelle) E-Mobilität. Welche Konzepte nachhaltiger Mobilität gibt es in den Partnerländern? Welche werden bereits umgesetzt? Was könnte die Politik hier von Bespielen aus dem globalen Süden lernen?

Almuth Schauber: Die globale Urbanisierung bedingt, dass bis zu 70 % der Infrastrukturen, die 2050 vorhanden sein werden, heute noch gar nicht existieren. Diese noch zu errichtenden Infrastrukturen sind ein Schlüssel für die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits. Das bedeutet nämlich, dass wir unsere Zukunft gestalten können. Genau daran arbeiten die Partner von MISEREOR wie IDIS und Pagtambayayong. Sie überlegen, wie trotz wachsender urbaner Bevölkerung die Klimaziele eingehalten und soziale Gerechtigkeit sichergestellt werden kann. Viele der Städte und Stadtteile, die es 2050 geben wird, existieren heute noch gar nicht. Die Art und Weise, wie sie gestaltet werden, ist im Sinne der (Klima-) Gerechtigkeit entscheidend: gibt es genügend Wohnraum, sind die Basisinfrastrukturen wie Wasserversorgung und -entsorgung gerecht verteilt? Wie werden Arbeiten und Wohnen zusammen gedacht? In vielen Städten werden aktuell noch bis zu 60 % aller Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. Dass viele dieser Städte dennoch im Verkehr ersticken und die Luftqualität besorgniserregend schlecht ist, zeigt, wie wichtig Entscheidungen über die Art und Weise sind, wie wir Städte gestalten.

Mobilitätsinfrastrukturen sind ein wichtiger Aspekt in diesen Entscheidungen. Wir wissen, dass Menschen mit geringem Einkommen bis zu 50 % ihres täglichen Einkommens für den Weg zur und von der Arbeit ausgeben. Gerade Menschen mit geringen Einkommen profitieren von Infrastrukturen, die es ihnen erlauben, sicher und schnell zu Fuß, per Rad und mit dem ÖPNV unterwegs sein zu können und hierfür Raum zu schaffen. Die Gestaltung sicherer Radinfrastrukturen hat während der Pandemie weltweit zugenommen. In Davao, auf den Philippinen, wo die Partnerorganisation IDIS seit Langem für eine sichere Radinfrastruktur eintritt, wurden mehr als 40 km Pop-up-Radwege geschaffen. Es wäre schön, wenn sich davon viele deutsche Städte inspirieren lassen würden – was Schnelligkeit und Größenordnung der Umsetzung angeht.

Zur Person: Dr. Almuth Schauber ist Referentin für städtische Armut und urbane Klimapolitik bei MISEREOR.


Fastenaktion 2022 Es geht! Gerecht.

Weiterlesen:

Geschrieben von:

Avatar-Foto

Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.