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Wie Misereor mit der Räumung in Lützerath zusammenhängt

Am 1. Dezember 2022 beschloss die Regierung den vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinischen Revier, kurz darauf gab sie den neuen Betriebsplan von RWE frei. Dieser sieht vor, den Tagebau Garzweiler auszudehnen und die unter dem Ort liegende Kohle zu fördern. Und der Ort? Die früheren Bewohner*innen haben das nordrhein-westfälische Lützerath bereits verlassen, Schaufelbagger stehen zum Abriss bereit. Proteste, besetzte Bagger und Straßenbarrikaden sollten das verhindern. Auch Misereor fordert, dass die Erhaltung der Energieversorgung in Anbetracht der Klimaziele neu diskutiert werden soll. Doch wie hängt ein Braunkohlegebiet in Deutschland überhaupt mit Misereor zusammen? Die folgenden Fragen sollen Antwort darauf geben.

Das "Geisterdorf" Lützerath ©Misereor
Das Dorf Lützerath ist längst verlassen und nunmehr nur noch ein „Geisterdorf“. ©Misereor

Warum engagiert sich Misereor für den Schutz eines Dorfes in Deutschland und ein schnelles Ende der Braunkohle?

Misereors Auftrag ist es, Armen und Marginalisierten im globalen Süden solidarisch zur Seite zu stehen und mitzuwirken, dass ein Leben in Würde für alle Menschen möglich wird. Dieses Leben ist in der heutigen Zeit vielerlei Bedrohungen ausgesetzt. Besonders schwer wiegen die dramatisch zunehmenden Folgen der menschengemachten Klimakatastrophe, die durch immer schnelleres Aufeinanderfolgen von Dürren und unkontrollierbare Überschwemmungen Hunger und Leid bringen. Davon sind wiederum besonders jene Menschen betroffen, die aus Regionen kommen und in Ländern leben, in denen die Menschen historisch am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben.

Deswegen müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die weitere Verschlimmerung der Klimakatastrophe aufzuhalten. Eine der Hauptursachen dafür ist die massive Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen, insbesondere der Braunkohle. Lützerath steht dabei symbolisch für ein weiteres Überschreiten roter Linien, wodurch die Einhaltung der im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Grenze von möglichst 1,5 Grad globaler Erwärmung nicht möglich sein wird. Deshalb stehen wir gemeinsam mit vielen Partnerorganisationen, deren Vertreter*innen in ihren eigenen Ländern (z. B. in Südafrika, Kolumbien, Indien oder auf den Philippinen) gegen die Kohlewirtschaft kämpfen und die sich auch persönlich mit den Klimaschützer*innen in Lützerath solidarisieren, für den Erhalt des Dorfes Lützerath ein.

Die Entscheidung gegen Lützerath wurde von der Politik als Kompromiss bezeichnet, um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung in Zeiten der Energiekrise zu gewährleisten. Zugleich wurde vereinbart, acht Jahre früher als vorgesehen die Kohleförderung in NRW zu beenden. Warum lehnt Misereor diesen Kompromiss ab?

Den politischen Kompromiss gilt es anzuerkennen, aber wir stellen in Frage, ob er so umgesetzt werden muss. Diverse Studien („Die Zukunft der Braunkohle in Deutschland im Rahmen der Energiewende“ (diw.de); „Gasknappheit: Auswirkungen auf die Auslastung der Braunkohlekraftwerke und den Erhalt von Lützerath“ – Coal Transitions) belegen, dass die Zerstörung Lützeraths für die Versorgungssicherheit Deutschlands trotz der Verwerfungen auf dem Energiemarkt durch den Ukrainekrieg nicht notwendig ist. Mit dem Verzicht auf das Abbaggern des Dorfes und der darunter liegenden Kohle würde dagegen ein Zeichen gesetzt, alles erdenklich Mögliche für die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze zu unternehmen.

Misereor lehnt die Förderung der unter dem Dorf liegenden Kohle auch deshalb ab, weil die Menge der Kohle, die in der Vereinbarung noch für RWE nutzbar wäre, zu groß ist. Das im Kompromiss gefundene Kohleausstiegsdatum 2030 muss mit einer angemessenen Reduktion der Kohlenutzung einhergehen. Gleichzeitig müssen die Anstrengungen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv verstärkt werden. Deutschland hat hier eine nicht zu unterschätzende Vorbildfunktion für andere „Kohlenationen“ wie China, Indien, Australien, Tschechien, Südafrika oder Kolumbien. Ebenso darin, dass sich demokratische Parteien aus unterschiedlichen Spektren auf einen vorgezogenen Ausstieg geeinigt haben.

Braunkohletagebau Garzweiler ©Misereor
Der Braunkohletagebau Garzweiler hatte Ende 2022 eine Betriebsfläche von rund 35 Quadratkilometern (RWE). ©Misereor

„Vor Lützerath verläuft die 1,5-Grad-Grenze.“ Kann sich Misereor mit diesem Slogan identifizieren, und wenn ja, warum?

Klimaschutzpolitik braucht nicht nur internationale Vereinbarungen, grenzüberschreitende Kooperationen und einen sektorenübergreifenden Gesamtblick, sondern auch konkrete Maßnahmen. Mit wissenschaftlichen Methoden wurden Modelle berechnet, die den Zusammenhang von der Menge von Treibhausgasen mit der Wahrscheinlichkeit des Temperaturanstiegs darstellen. Diese Menge kann für jedes Land auf eine bestimmte Menge Treibhausgase herunter gebrochen werden und ergibt somit ein Budget an Klimagasen, die noch ausgestoßen werden können, ohne die Einhaltung des globalen 1,5 Grad-Grenze aufzugeben. Da weltweit die Verringerung der Treibhausgase zu langsam geht, wird dieses Restbudget jedes Jahr kleiner.

Unter Berücksichtigung der vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands und der großen Defizite auf dem Pfad zu deren Erfüllung, insbesondere im Verkehrs- und Wärmesektor, müssen die CO₂-Emissionen aus der fossilen Stromerzeugung schnellstmöglich heruntergefahren werden. Deshalb ist jede eingesparte Tonne Kohle, die in der Erde bleibt, wichtig. Dazu bietet die vor Lützerath von Klimaaktivist*innen und Wissenschaftler*innen definierte „rote Linie“ eine symbolische Richtschnur, die wir auch in Verantwortung für unsere Partner in den Ländern des globalen Südens keinesfalls durchbrechen sollten.

Misereor war mit Aktivist*innen aus Brumadinho in Lützerath. Wie bewerten diese Partnervertreter*innen die Zerstörung des Ortes, und was haben die Aktivist*innen ihnen vor Ort vermittelt?

Die brasilianischen Aktivist*innen zeigten sich sehr besorgt über das Ausmaß der Förderung und Verstromung von Kohle in Deutschland und deren globalen Auswirkungen auf das Klima. Der friedliche und kreative Protest hat sie sehr beeindruckt. Sie fühlen sich stark verbunden mit den engagierten Menschen, die sich hier gegen die Zerstörung der Umwelt einsetzen. Die Aktivist*innen in Lützerath und die brasilianischen Gäste betonen, dass der Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt und für eine enkeltaugliche Zukunft ein gemeinsamer ist, ob in Brasilien oder eben Lützerath.

Brasilianische Aktivistinnen zu Besuch in Lützerath ©Misereor
Die brasilianischen Aktivist*innen Carolina Campos de Moura und Danilo Chammas waren zu Besuch in Lützerath. ©Misereor

Was soll ein Moratorium für die Räumung bewirken?

Ein Moratorium für die Räumung des Geländes soll eine erneute Denk- und Gesprächspause ermöglichen. So könnte ein gemeinsamer Weg für alle Akteur*innen gefunden werden, die Interessenkonflikte zwischen der Einhaltung des Klimaziels, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, und der Sorge um die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die ab 2025 Kohle aus den Flözen unter Lützerath nutzen könnte, neu abzuwägen.


Weitere Informationen…

…finden Sie auch in unserer Pressemitteilung, unserem Blog oder auf Instagram.

Geschrieben von: und

Peter Meiwald, Leiter der Afrika-Abteilung bei MISEREOR

Peter Meiwald leitet die Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR.

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Kathrin Schroeder leitet die Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen bei Misereor.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Die globale Sichtweise von Misereor ist sehr wichtig und zeigt die Nähe der Katastrophe noch deutlicher.

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    Wir verfolgen und unterstützen seit Jahrzehnten die Arbeit von Misereor und sind überzeugt vom Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe.
    Im Zusammenhang mit den auch hier schon deutlich spürbaren Klima Veränderungen muss das Augenmerk verstärkt auf den Aspekt der Klimagerechtigkeit gelenkt werden, da in vielen Ländern des globalen Südens die Änderungen des Klimas schon heute Menschenleben kosten. Daher ist es nur folgerichtig, wenn Misereor den Kompromiss um den Kohleabbau unter Lützerath kritisiert und mit vielen Wissenschaftlern, Fachleuten und der überwiegenden Mehrheit der dt. Bevölkerung ein Moratorium fordert.

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    RWE sollte auch einen Beitrag zum 1,5 Grad Ziel leisten. Sie können auf die Kohle unter Literatur freiwillig verzichten. Dadurch h würde die Firma nicht pleite gehen.

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